Ein Gespräch mit Ulf Röller über Opportunismus! Aber wer ist Ulf Röller und was ist Opportunismus? Michel Friedman hatte diese Woche wieder einen Termin in der Oper, um mit einem Gast über einen Grundbegriff zu sprechen. Diesmal der angesprochene Opportunismus mit dem uns unbekannten Ulf Röller. Nur wer einen Fernseher hat, kann ihn kennen, als Reporter des ZDF. Ulf Röller lebte in den vergangenen Jahren in Washington D.C., als dort Donald Trump regierte, und in Peking, als dort Xi Jinping (und das Coronavirus) regierte.
Derzeit berichtet er aus Brüssel, wer dort regiert, ist ja immer schwer zu sagen und von immer anderen Sachen abhängig. Abwechselnd tun sich die EU-Kommissionspräsidentin, Viktor Orban, oder der deutsche Bundeskanzler im Wettstreit mit dem französischen Präsidenten und heute sogar manchmal wieder der britische Premier, schwer damit, in eine gemeinsame Richtung zu führen. Das zu erklären ist schwer. Dafür braucht man Journalisten und ein gutes Ordnungsprinzip, also beispielsweise einen geeigneten Grundbegriff – wie Opportunismus.
Doch manchmal tritt jemand zu Beginn solcher Abende vor den geschlossenen Vorhang und verkündet von höheren Mächten, Krankheit und Ähnlichem. In diesem Fall blieb es unklar, aber Ulf Röller war nicht da, stattdessen Elmar Theveßen. Seine Fernsehsendungen kritisiere ich seit einem Jahrzehnt. Wir hatten ihn sogar als Gast im Aufwachen Podcast, was unbefriedigend war. Wir können uns nun wieder gemeinsam darüber aufregen, wie undurchdacht und unvollständig die Argumente gestern waren. Der ehemalige Chef des Nachrichtenbetriebs des ZDF und heutige Studioleiter in Washington spricht über unsere politische Zeit und den Opportunismus allerorten.
Sie begannen vielversprechend. Theveßen folgte dem Vorschlag von Friedman, Trump als “König” zu bezeichnen. Vor ihm “die Knie zu beugen” und “den Ring zu küssen” sei nun politisches Engagement. Amazon kaufte beispielsweise die Rechte an Melania Trumps Story für vierzig Millionen Dollar. Anders als gesagt ist Jeff Bezos dort aber nicht Chef, wenn auch eine wichtige Figur, weil Gründer und Eigner großer Anteile. Als ebensolcher Besitzer der “Washington Post” habe er auch in seiner Zeitung in die Belange des Hauses eingegriffen und neue Regeln für die Meinungsseite diktiert. Alles richtig, alles wichtig. Den Medien obliegt schließlich große Verantwortung in der Demokratie. Wenn politisch Mächtige oder Milliardäre zulangen, wird es brenzlig. Bis hierhin, also die ersten fünf Minuten der anderthalb Stunden, alles ok.
Aber die Beobachtung allein rettet uns vor den neuen Königen nicht. Also wurde ab hier appelliert. An private BürgerInnen: Es sei nun der „Moment, […] wo die Demokratie darauf angewiesen ist, dass die Bürger, die von der Demokratie profitieren, aufstehen und sie verteidigen.“ An politisch Verantwortliche: Wo sind die “Visionen und Strategien, dass ein Plan innerhalb der nächsten Monate, eigentlich bis zum Sommer, entstehen [muss] und ein Narrativ, um der Bevölkerung genau klarzumachen, jetzt zählt es, jetzt geht es um die Wurst?“ An die Bildungseinrichtungen: „Ich würde empfehlen, dass wir Bildung zum Mittelpunkt machen, weil nur auf dieser Grundlage am Ende die Werte, die wir haben, aber auch die Wahrheiten und Fakten, die wir haben, in der Gesellschaft langfristig bestehen.“
An wirtschaftliche Entscheidungsträger: “Vor allen Dingen auch von den politisch Verantwortlichen und wirtschaftlich Verantwortlichen” könne man doch Hilfe erwarten, “dass sie sich dieser Verantwortung bewusst sind und nicht am Ende opportunistisch agieren.“ Auch das politische Europa solle sich zusammenreißen. “Wenn wir eine Europäische Union haben, die auf bestimmten Regeln und Werten basiert, wenn wir sie nicht durchsetzen, wird sie keiner mehr ernst nehmen.“ Wenn man im politischen Willen “unterschiedliche Geschwindigkeiten” sehe, “müssen wir nicht dann die Institutionen der EU mal anpassen?” Er erwähnt Schäubles Papier vom Europa der zwei Geschwindigkeiten.
Und die Medien? Michel Friedman fragte konkret: “Sind Sie der Meinung, dass wir publizistisch, vor allen Dingen im Fernsehen, in Streitsendungen, wir nennen das Talkshows, ich finde, das ist nicht der richtige Begriff; sind Sie der Meinung, dass diese Sendungen Streitkultur, den Streitmut, den dialogischen Gedanken stärken, schwächen, oder letztendlich ist es egal?” Friedman gab, mit Blick ins Publikum, sogar Extrabedenkzeit: “Jetzt wird er vorsichtig, jetzt muss er nachdenken.“
Theveßens Antwort – wir sind in der Oper, da darf gelacht werden: “Ich könnte mir Formate vorstellen, die das einfordern. Ich mache mal ein Beispiel aus dem Spielebereich.“ Damit meinte er nicht das naheliegende Schauspiel, sondern: Escape Rooms.
“Vielleicht kennen viele die Escape Rooms, wo es darauf ankommt, zusammenzuarbeiten und eine Lösung zu finden. Der Vertrauensverlust in die Politik ist ja deshalb so groß geworden, weil man das Gefühl hat, sie haben gar kein Interesse daran, gemeinsam eine Lösung zu finden. Stattdessen haben sie in erster Linie daran ein Interesse, ihre Klientelpolitik durchzubringen. Was wäre, wenn man ein Format hätte, in dem Politiker unterschiedlicher Parteien eine Problemstellung bekommen und eine begrenzte Zeit von einer Stunde, in der sie eine gemeinsame Lösung finden müssen. Die dürfen sich streiten wie die Kesselflicker, wenn sie wollen, aber am Ende, wenn sie da wieder rauskommen wollen, müssen sie eine Lösung finden. Ich glaube, das zwingt am Ende, vor allen Dingen, wenn es öffentlich passiert, zu einer Versachlichung der Diskussionen und zwingt dazu, tatsächliche Lösungsvorschläge zu entwickeln, statt immer nur die Diskussionen mitzuschauen.“
Darüber hinaus flüchtete er sich eigentlich nur in die Reformulierung von Friedmans Fragen. Statt Antworten also rhetorische Reaktionen von Theveßen: “Wie können wir in einer Gesellschaft, wo die Lüge tatsächlich akzeptiert wird, wenn es opportun ist, dafür sorgen, dass Menschen einen Wert darin sehen, wenn Fakten als Fakten genannt werden und Lügen als Lügen genannt werden?“ Ja, wie? Friedman fragte ihn nach der Situation im Oval Office mit Trump, Vance und Selensky: “Ich habe mir das angeschaut und erstickt bin ich eigentlich daran, dass nicht eine Person gesagt hat, Stop it! What’s going on here? War das jetzt ein Raum voll Opportunisten? Oder war es ein Raum voll Klugheit, dass kein Journalist, der dort war, gesagt hat, stop it, so geht es nicht? So kann ich nicht in einem Raum sein, wo jemand einen anderen Menschen in einer Art und Weise behandelt, die seine Würde antastet, nämlich die des ukrainischen Präsidenten.“
Darauf sagte Theveßen: “Ich glaube, in dem Moment, also wenn es einer von außen gemacht hätte, ein Journalist, der da war, der hätte nicht für seinen journalistischen Kernauftrag, sondern seinem Gewissen folgend einen Punkt gemacht. Damit hätte er seine Arbeitsfähigkeit riskiert.“ Seine Arbeitsfähigkeit? “Ehrlicherweise, ich weiß nicht, ob ich in der Situation die Frage gestellt hätte, wahrscheinlich hätte ich abgewogen, dass diese Frage eine ist, die garantiert, dass ich rausfliege und keinen Zugang mehr habe, die aber am Ende nicht wirklich einen Mehrwert bringt, außer dass ich mich moralisch besser fühle.“

Arbeitsfähigkeit heißt bei ihm Zugang, oder anders gesagt: Elmar Theveßen versteht Journalisten als Mikrofonständer. In die Mikrofone darf dann von Politikern gesagt werden, was sie wollen, Hauptsache Elmar Theveßen darf das Mikrofon halten. In einem Gespräch zum Opportunismus! Das ist auch lustig, weil deutsche Journalisten überhaupt keinen Zugang zum Weißen Haus haben, erst recht nicht zum Oval Office.
Zum Glück hat Michel Friedman dagegen gehalten: “Ist es nicht ein Mehrwert, dass in der Öffentlichkeit, in so einem dynamischen Moment jemand aufklärerisch und aus Neugier, ich muss ehrlich sagen, ich hätte es auch aus Neugier getan, gefragt hätte: Warum sprechen Sie jetzt mit einem Menschen so, wie nicht einmal Putin mit Merkel gesprochen hat, als er den Hund vorgeführt hat? Was ist der tiefere Sinn, der geostrategische Sinn einer solchen Art und Weise, dieses Umgehens miteinander?“
Elmar Theveßen hat es nicht verstanden, bis zuletzt nicht. Die Aufgabenstellung zum Ende war recht leicht zu verstehen: “Sagen Sie doch mal ganz optimistisch was Optimistisches.“ Theveßen antwortete zuerst leicht paradox: Das Gute an Trump sei, dass er uns den Wert der Freiheit vorführe. Das allerdings müssten wir dann selbst verstehen, weil Trumps Vorführung ja nur über Bande geschieht. Er bedroht mit Unfreiheit. Aber das mache es zu einer Chance, zumindest wenn man Theveßens “hoffnungslosen Optimismus” folgte. Die Lage sei aber nun einfach schlimm. Ich zitiere Theveßens Finale mal ab der Floskel.
“Ich bin ein hoffnungsloser Optimist, aber ich stimme Ihnen zu, es ist noch nicht in der Breite angekommen. Damit das da ankommt, bedarf es derer, die in der Politik Verantwortung tragen und auch in anderen gesellschaftlichen Gruppen Verantwortung tragen, es klarzumachen. Das wird nur klar, wenn jedem bewusst wird, dass man nicht einfach nur mit Schulden die Probleme zukleistert, sondern dazu gehört auch Verzicht in den verschiedenen Bereichen.”
Huch! Schulden, Verzicht? Theveßen war plötzlich im tagesaktuellen Nachrichtenmodus. Ohne Auftrag, ohne Grund, er wusste einfach nicht weiter und setzte auf die schräge Sehgewohnheit, die sein Sender über Jahrzehnte geschaffen hat.
“Und wenn man den Anschein erweckt, als könnte man mit den riesigen Herausforderungen, die wir momentan haben, einfach so fertig werden, indem man nur genug Geld in die Kasse füllt, dann riskiert man, dass wir die Kurve eben nicht bekommen. Die Zeit ist knapp. Es gibt eine Deadline, die ist drei, vier Jahre maximal. Es muss ein Plan innerhalb der nächsten Monate, eigentlich bis zum Sommer, entstehen und ein Narrativ, um der Bevölkerung genau klarzumachen, jetzt zählt es, jetzt geht es um die Wurst, jetzt kommt es drauf an. Und dazu gehören Fragen wie, dass man selber auch Verzicht übt, indem man möglicherweise im Steuerbereich, möglicherweise in der Frage eines Feiertags, in der Einführung einer Wehrpflicht, die sicherlich in der Bevölkerung auch dann klar macht, wie weit die Einschränkung geht, weil es jetzt drauf ankommt. Und wenn das nicht kommt, sondern der Anschein erweckt wird, man könnte das alles mit ein bisschen mehr Geld lösen, auch wenn es ziemlich viel Geld ist, eine Billion, dann wird das nicht geschafft.“
Elmar Theveßen
Sorry, Elmar. Hier meine Gegenthese: Euer politisches Fernsehen ist einfach schlecht. Wäre es besser, wäre vieles besser. Ihr habt dafür die Verantwortung. Während die ganze Gesellschaft in die Zukunft stürmt, ist euer Beitrag in der Zeit hängengeblieben, als Zeitungen noch mit Bleilettern gepuzzelt wurden. Und jetzt hängt einfach alles. Macht besseres Fernsehnachrichten, dann machen wir einen besseren Fernsehpodcast, dann sehen wir weiter. Nach Frankfurt in die Oper zu kommen, um uns Verzicht abzuverlangen, ist beleidigend. Insbesondere von jemandem, der den Reisedienst des ZDF beauftragt, für Fußballspieler Privatjets zu buchen, damit sie rechtzeitig vom Stadion ins Studio kommen. Als gäbe es dazwischen nicht noch einiges, um das man sich auch kümmern könnte in diesem gigantischen Bereich der eigenen Verantwortung: Politische Berichterstattung. Es ist unser Geld und ich drohe hiermit mit Verzicht.
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