Transcript
Intro
Ich:
[0:21] Ho ho ho, hier ist der Weihnachtsmann. Mhm.
[0:26] Aber jetzt mal ehrlich: wenn 'ne Geschichte so losgeht - kann man ihr noch glauben? Bleibt noch Glaubwürdigkeit übrig?
Wie erzählt man eigentlich Geschichten vom Nordpol zu Weihnachten? Diese
Frage klären wir hier eigentlich nicht, heute aber doch, in der 13.
Ausgabe des Talkradios zur Rentnerrepublik, die noch erzählt werden
muss.
Danksagung
[0:54] Wir beginnen aber wie immer
mit einer kleinen Danksagungsrunde, denn obwohl es das Buch noch nicht
gibt, gibt es schon Käufer, die dann auch bald Leser sein werden.
In der Hinsicht geht der erste herzliche Weihnachtsdank an Matthias in
Österreich, der schickt nämlich 15 Euro und "Liebesgrüße aus der
österreichischen Rentnerrepublik,
Clemens schickt drei Euro, Kai zwei fünfzig, Martin einen Euro 23, Leo
drei, Konrad fünf, Franz fünf, Anna Lena schickt zwei und "grüßt auch an
dieser Stelle Clemens und Leo".
Ole schickt 35. und hinterlässt nur seine E-Mail-Adresse, sehr gut.
Pascal schickt vier, zwei Euro fünfzig von Martin und 25 von Anastasia "mit Geburtstagsgrüßen an meinen Mann Jan".
Der hat nun zufälligerweise genau heute Geburtstag. Also lieber Jan auch
von mir alles Gute nicht nur von Anastasia aber von ihr auch im
Speziellen und im Besonderen.
Morgen liefern wir dann noch Aufwachen!-Grüße nach, denn vielleicht hört er hier ja gar nicht zu der leieb Jan.
Johannes
schickt elf "Betriebskosten Rentnerrepublik" schreibt er, "weil es
einen anderen Bezug zum Buch schafft, die Entstehungs so informativ
mitzuverfolgen." Mhm.
[2:11] Andreas schickt 72 und
hat bei mir auf mehreren Kanälen schon Bescheid gesagt, dass er sich ein
bisschen mehr zurückhalten möchte mit Kommentaren, aber 'nen
Verwendungszweck als Gruß; ich nehme das Geld natürlich trotzdem gerne
entgegen. Es ist hier in guten Händen, hier wird Geld in Bücher
verwandelt und übermorgen hole ich mir der Königin ihr Kind - nein ich
habe schon genug.
Jeffrey schickt zehn Euro "für die Rentnerversicherung",
das ist ein sehr schöner ideeller Beitrag; auch der wird natürlich mit
einem Buch vergolten und zum Abschluss Viktor, der schickt €20 und
schreibt:
"Im Journalismus (Apokalypse-Industrie) erwirtschaftete Spende eines Soziologie-Studenten.
Journalismus
[2:58] Tja und mit Viktors kleinem
Grußwort sind wir mitten im Metier, das heute zu besprechen ist. Man
kommt eigentlich gar nicht richtig drum herum: der Journalismus ist eine
Apokalypse-Industrie.
Dieses Zitat ist berühmt, ich habe selbst häufig zitiert. Es stammt von
Gabor Steingart, Zitat, "Viele Journalisten sind freie Mitarbeiter einer
weltweiten Apokalypse-Industrie"
und damit hat er absolut recht, auch wenn er manchmal ein bisschen
übertrieben formuliert wie z.B. seinen letzten Buchtitel: "Weltbeben";
gestern allerdings hat mal wieder eins stattgefunden.
Der "Spiegel", also das Hamburger Nachrichtenmagazin, hat uns
darüber informiert, dass im eigenen Haus ein großer großer Betrug
stattfand.
[3:44]
Ein junger Kollege, der in den letzten Jahren wohl so ein paar Dutzend
Texte schrieb, hat im großen Stil Erfindungen in seinen Text eingewoben,
was nicht weiter auffiel, da es sich um die besondere Form, Textgattung
der Reportage handelt. Die zeichnet sich ja nun dadurch aus, dass sie
in besonderem Maße auf Exklusivität und Investigation Wert legt.
Man muss einem Autor einer Reportage also ziemlich viel Vertrauen.
[4:16] Vertrauen im Journalismus ist das Ergebnis einer Arbeit, die man dem Publikum nicht selbst als Leistung abfordern kann,
deswegen gibt es Redaktionen und Medienhäuser, die - so unklar auch
immer ist, was jetzt eigentlich guter Journalismus sein soll - doch
Vorkehrungen getroffen haben, also Abläufe und Verfahren installiert
haben, die Probleme behandeln, Fehler minimieren.
[4:50] Im Großen und Ganzen, je nach Ausprägung, wie's organisatorisch gestaltet wird, Hände in Feuer legen wie man so schön sagt,
und na klar kann man jetzt den Autor in den Mittelpunkt rücken und sagen "Claas Relotius hat betrogen".
Aber das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist,
das Medienhaus um ihn herum, das evolutionär entstanden ist, um seine
Intention und die jedes anderen Autors zu zügeln, hat versagt.
Wir haben es also - welcher Name auch immer für sie gefunden wird - mit
einer Art Spiegel-Affäre zu tun oder, schlimmer noch, betroffen ist
natürlich der ganze Journalismus an sich.
Und deswegen reden wir heute hier darüber, denn dieses Buch, dieses
Projekt hier, die Rentnerrepublik, ist natürlich trotz Verlagslosigkeit,
trotz angestrebter Papierlosigkeit, trotz Berufs
unberufsprofessionellem, hobbyistischem Ehrgeiz eine journalistische
Arbeit.
[6:06] Und wenn ich auch viele
Formatfragen anders beantworte als sehr viele Journalisten beim
"Spiegel" sie beantworten müssen, weil es Hauslinie ist: Ziel dieser
Arbeit hier ist ein Text,
ich will also heute nochmal ein paar Formatfragen aufwerfen.
Es könnte also sein, dass diese Podcast-Ausgabe heute nur für Journalisten interessant ist,
denn der Blick von außen auf den Journalismus, den man so als Leser hat,
wenn man den Fernseher einschaltet, sich dann doch mal eine Zeitung
kauft oder so, ist ja doch ein sehr anderer als dieser interne Blick,
den man relativ zügig entwickelt; dazu reicht im Grunde eine Hospitanz
irgendwo.
Wir haben aber die letzten Jahre schon festgestellt: so richtig abschotten lassen sich die Abläufe in den Häusern nicht mehr.
Also das Publikum so kommt mit eigenem Interesse und eigenen Ansprüchen
und schaut dann auch mal genauer nach, was so passiert in den Häusern.
Viele berechtigte Ansprüche des Publikums konnte man zuletzt noch relativ erfolgreich abwehren.
Wir kennen das beispielsweise von den Chefredakteuren der ARD und ZDF
fernseh nachrichten Berichterstattung Kai Gniffke und Peter Frey.
[7:20] Dann man ja immer noch bei
öffentlichen Veranstaltungen treffen, wenn sie dann auf der Bühne sitzen, seltener bei Vorträgen, häufiger bei Podiumsdiskussionen, weil, Vorträge
machen Arbeit in der Vorbereitung, Podiumsdiskussion nicht so sehr.
Im Grunde wollen sie ja auch immer nur das Gleiche sagen, nämlich, sie
werden nicht von Merkel angerufen so als ob immer noch jemand
tatsächlich mit diesem Vorwurf zu Ihnen käme.
Und dann erklären Sie nochmal in fünf Punkten, was guter Journalismus sei
und dass man doch sehr darauf achte, einen Kommentar von einer
Nachricht zu trennen, als ob es darum ginge. Aloso das ist so dieser dumme Teil der
Diskussion, um die muss man sich nicht weiter kümmern.
Entscheidend in dem aktuellen Fall ist, dass hier erstaunlich offen nach einem Tag Aufarbeitung schon für alle einsehbar ist, wo eine große Kampflinie in den letzten Jahren verlief,
denn es gab auf eine eigentlich recht einfache Frage mindestens zwei Antworten:
Die Frage lautet, "Was ist eigentlich eine Reportage?",
für die einen ist die Reportage die Königsdisziplin im Journalismus überhaupt, für die anderen ist die Reportage eher Belletristik, Literatur, ein ästhetisches Produkt, nicht so richtig im Journalismus verortbar;
im Grunde schwingt immer Lug und Trug mit. Ich bin nun sehr eindeutig in der zweiten Gruppe zu verorten.
Ich halte von Reportagen überhaupt gar nichts und die etwas gemeine Frage, die ich mir seit gestern stelle ist eigentlich eher "Warum gibt es
dieses journalistische Format Reportage überhaupt noch?"
[9:05] Wir können ja mal siebeneinhalb Jahre inzwischen schon zurückgehen.
[9:11] 2011, denkt kurz nach. Was war 2011?
[9:16] Mhm, Karl-Theodor von Guttenberg
hat seinen Doktortitel verloren und damit auch seinen Ministerposten ,
denn so ganz konnte man ihm nicht durchgehen lassen, auf der einen Seite so einen Betrug hingelegt zu haben und auf der anderen Seite weiter seinem Beruf nachzugehen, in dieser öffentlichen Stelle.
2011 war das Jahr, in dem Dissertationen
nicht nur für mich, sondern für viele, die damals mit mir promovierten,
extrem an Wert verloren haben.
[9:46] Damals wurden ja auch die Systeme ein bisschen umgestellt von diesen typischen Doktorvater-/Doktormutter-Beziehung auf "Man ist halt Teil einer Graduiertenschule und im Grunde merkt man kaum,
ob man im ersten Semester Bachelor studiert oder gerade eine
Dissertation schreibt".
Also die Dissertation ging mit so einer Verschulung einher, gleichzeitig gab es eine Inflation an Texten, also jedes Jahr 25 000 Dissertationen.
Der Titel wurde einem so ein bisschen hinterhergeworfen und dann kam
Karl-Theodor zu Guttenberg hat diesem ganzen Reputationssystem im Grunde so 'nen großen Sargnagel noch reingeschlagen.
Wahrscheinlich hätte ich damals einfach weiter promoviert und die eine
oder andere biografische Chance auf etwas anderes ausgeschlagen.
Hm, dann hieß ich jetzt Dr. Stefan Schulz und es wäre im Grunde auch egal.
Nur bereut habe ich die Entscheidung nie und ehrlich gesagt, wer nimmt Doktortitel heute noch etwas abgewinnen kann, der muss ich einfach normal je Jahrgang die Titel der Texte durchlesen, zu denen so Arbeiten geschrieben werden.
[10:53] Die Ernüchterung stellt
sich schnell ein und sie ist berechtigt. Das war die eine Erfahrung 2011, die wichtige Textgattung, die so weit wie möglich vom Publikum weg
fabriziert wurde, war ziemlich wertlos.
Natürlich nicht im Einzelnen, versteht mich nicht falsch, aber es gab so
im Großen und Ganzen schon einen Shift Richtung Sinnlosigkeit.
[11:18] Nur wenige Monate später, Karl-Theodor zu Guttenberg trat im Februar 2011 zurück,
kamen dann im Journalismus die ganz nah am Publikum bearbeiteten Texte, also die Reportagen des Spiegel, schon mal in Bedrängnis.
René Pfister wurde im Frühjahr 2011 der Henri-Nannen-Preis aberkannt weil sich herausstellte dass,
er gar nicht in dem Eisenbahnkeller von Horst Seehofer war, über den er
schrieb, um eine Reportage über Horst Seehofer zu eröffnen.
[11:57] Im Vergleich zu dem
aktuellen Fall ist das eine eher kleinere Sache Denn René Pfister fiel es selbst auf der Bühne gar nicht auf als er auf die Frage,
"Wie war es da in dem Keller?" salopp sagte "Ich war gar nicht in dem Keller" und sich die Ersten im Publikum gewundert haben.
"Aber du schreibst doch aus der Perspektive, nach der du das alles gesehen
hast, wie er da, wie Horst Seehofer da, mit seinem Bahnwärterhütchen und
mit seiner Kelle eben in seinem Bahnkeller steht."
Aber nein, René Pfister hat das Bild imaginiert, obwohl es den Keller
tatsächlich gibt, um mit einem Gleichnis zu beginnen: so wie der
Kontrollfreak Seehofer in seinem Keller steht, so regiert er auch in der wirklichen Welt.
Damals waren die Zeiten andere, klügere vor allem, Frank Schirrmacher war noch am Leben.
Und er hat sich damals involviert, weil Jurymitglied, zu Wort gemeldet
später mit einem Text, Überschrift: "Haben wir erlebt, wovon wir schreiben?"
Fragezeichen.
[13:05] Darin steckt natürlich die
Frage "Müssen wir erleben, worüber wir schreiben oder auch kann man über
etwas schreiben, das sich der Beobachtung entzieht?
Kann man über etwas schreiben, das man gar nicht beobachten kann? Ist die
elementare Beobachtung tatsächlich der einzig gültige Ausgangspunkt für
ein journalistisches Schreiben? Ja oder Nein?"
Ich werde den Text jetzt nicht referieren sondern der ist verlinkt, ihr könnt ihn lesen. Ich will nur aus dem Vorwort aus den zwei Teaser-Zeilen
kurz vorlesen.
[13:39] Schirrmacher schreibt, bzw. die Redaktion, die den Text anteasert, aber natürlich in enger Abstimmung mit Schirrmacher.
"Der Kollege René Pfister hat einen handwerklichen Fehler gemacht. Dafür wurde ihm der Henri-Nannen-Preis aberkannt.
Ist das folgerichtig? Fragezeichen. Man sollte lieber über journalistische Kategorien sprechen."
[14:01] Und dieses Gespräch hat es damals schon gegeben. Ein Jahr vor 2011, also 2010, für alle die gut mitrechnen,
hat Claudius Seidl über, Zitat, Überschrift, "die Verniedlichung der Welt"
geschrieben.
Jetzt will ich euch unbedingt zwei kleine Stücke vorlesen. Den ganzen Text findet ihr verlinkt, wenn Ihr Journalisten seid, müsst ihr ihn lesen.
Also wir springen mitten rein in die, ich will jetzt nicht sagen
Abrechnung, aber jetzt hab ich's gesagt, und damit gilts auch so n bisschen.
Es ist keine reine Abrechnung, ihr werdet es verstehen.
[14:36] Es geht jedenfalls um die
Reportage also, Zitat Claudius Seidl, "Es gab und gibt in diesem Genre
immer wieder Texte, die liest einer und dann kommt es ihm vor, als hätte jemand die Gardinen weggezogen, die
Scheiben der Wahrnehmung geputzt die Fenster weit aufgerissen, ein Effekt den man nicht verwechseln darf mit der populären Illusion, ja, der Lüge, wonach die Reportage ihren Lesern die Welt (also zum Beispiel
die Bundeskanzlerin oder die Karriere eine Serienkiller um ein
paar geläufige Sujets zu nennen), so zeigt, wie sie wirklich ist. Nein, auch Reportagen sind aus Sprache gemacht, nicht aus Fleisch, Blut oder quietschenden Autoreifen.
Und Gelungen ist eine Reportage nicht etwa dann, wenn man den sonderbaren Umstand, dass es doch bloß Wörter sind, fast vergisst,
sondern, wenn ihre Wörter das Gegengift zu allen gerade üblichen Sprachregelungen und Verabredungen sind.
Es gab und gibt immer wieder Reportagen, die liest einer und erfährt darin, dass das Gelingen dieser Texte nicht bloß am Talent hängt, nicht bloß an der von Gott, dem Schicksal oder
den Eltern geschenkten Fähigkeiten, auf der Tastatur des Laptops einigermaßen schwungvoll und gefällig herum zu klimpern. Nein, das Gelingen ist gewissermaßen auch ein ethisches Problem - es
fordert eine fast schon asketische moralische Strenge gegenüber all den
Versuchungen, mit den Mitteln der Sprache zu blenden, zu bluffen, zu
tricksen. Gegen die Versuchungen des Bescheidwissens, des
Allesdurchschauens, des Alleserklärenkönnens."
Und jetzt kommt der entscheidende Absatz.
[16:33] "Erstaunlicherweise macht man solche Erfahrungen aber zuallerletzt bei
jenen Reportagen, die für Reportagepreise nominiert sind oder diese
Preise gewinnen - was, einerseits, insofern völlig unwichtig ist, als
die Einzigen, die sich für Journalistenpreise interessieren, die
Journalisten sind. Und weil aber andererseits mit den meisten dieser
Preise nicht nur eine Summe verbunden ist, sondern auch Prestige,
zumindest bei den Kollegen; weil der Marktwert des Gewinners immer
steigt; und weil der Gewinner von heute so häufig in der Jury von morgen
sitzt, deshalb reproduzieren sich die Formen und Floskeln, die
Missverständnisse und Halbwahrheiten immer wieder selbst und bringen
etwas hervor, das zu den Eigenheiten gerade des deutschsprachigen
Journalismus gehört: Preisträgerprosa, Preisträgertexte,
Preisträgerformen."
Das schrieb Claudius Seidl also 2010. Und es ist genau das, was wir heute in der Diskussion wieder brauchen.
Nur wenn man die Argumentation mitbringt, müsste man im Grunde immer noch so ein Bedauern die ganze Zeit mit transportieren und auch verdeutlichen,
dass in den fast 10 Jahren seitdem eigentlich recht wenig passiert ist,
außer dass dem Spiegel natürlich sehr viele Leser auch einfach
weggelaufen sind, was man trügerischer Weise natürlich damit kompensieren
wollte, dass man noch illustrativer und noch instruktiver schreibt,
man hat sich also eine Falle gestellt, in die man dann auch einfach reingetreten ist.
So viele Preise wie der 33jährige Relotius gewonnen hat und jetzt auch alle
zurückgab, so erfolgreich kann man auf einem Feld, in dem nur
Haltungsnoten vergeben werden, eigentlich gar nicht sein.
Es ist ja nicht so wie bei Usain Bolt oder so, dass ein ganzes Stadion
immer wieder mit bezeugt, im Grunde, dass die Leistung tatsächlich
abgeliefert wurde. Hier wurde offenbar tatsächlich - Ich kenne ja auch nicht jeden Text - aber in dem Fall wurde offenbar
tatsächlich alles von Claudius Seidl damals schon Problematisierte praktiziert.
Eein Text wurde danach bewertet, wie man sich fühlt, wenn man ihn liest, nur sind die Zeiten heute eben doch andere.
[19:02] Die Salonkolumnisten
haben gestern oder heute Morgen noch schnell formuliert, was im Grunde
jedem, der diesen Fall gestern mit beobachtet, hat gleich aufgefallen ist
und auch ziemlich albern war,
ich lese mal die ersten Worte von dem Autor Doktor Deutsch,
"Der Spiegel feiert das bitterste Redaktionsversagen seit seinem
Bestehen mit einer großen Reportage und bestärkt damit ausgerechnet jene
Form des Journalismus, die den Fall Relotius begünstigt hat."
Was soll man sagen; damit ist fast alles gesagt.
Ullrich Fichtner, der neue Spiegel-Chefredakteur hat sich hingesetzt und
tatsächlich eine riesengroße Reportage über sein eigenes Haus
geschrieben, zumindest über die Anfänge des Skandals.
Also uns werden Protagonisten vorgestellt, sie werden uns szenisch umschrieben .
Wir bekommen Urteile, alternative Urteile, wir sollen natürlich ein
bisschen selber mitdenken, aber es ist eine Reportage und damit völlig am
Problem vorbei.
Denn das Problem ist ja nicht der in der Reportage behandelt der Autor von Reportagen sondern seine Reportagen selbst.
Um es mit Claudius Seidls Worten zu sagen, "es ist ja nicht der Autor
Claas Relotius in Fleisch und Blut zu den Leuten nach Hause gegangen und
hat sich als große Lüge präsentiert, sondern er hat seine Worte nach Hause geschickt, er ist den Leuten mit seinen Worten begegnet.
[20:38] Das Werk ist hier sehr viel wichtiger als der Künstler der Fall Relotius ist eigentlich ein Fall Reportage, Reportage an sich. Das will der Spiegel aber natürlich nicht wahrhaben und weiter verdrängen.
Wäre es anders, wäre das auch fast organisatorischer Selbstmord.
Also zieht Fichtner diesen riesigen Reportagetext auf und stellt uns darin nicht nur seinen Autor Claas Relotius, von dem er sich jetzt verabschiedet, vor, sondern eben auch - wie soll das
anders sein - szenisch szenisch, immer auf Protagonisten und ihre Intention
bezogen, seinen Gegenspieler auch Spiegel-Redakteur Juan Moreno.
Und weil Investigation und Exklusivität Spezialität des Spiegels sind,
gibt es einen Tag später, nämlich heute, auch gleich eine Wortmeldung von
Moreno,
der auch seine biografische Schicksalhaftigkeit nochmal in Tiefe und Breite darstellen kann.
Wir schauen nur mal in einen Teil der mich jetzt einfach auch aus biografischen Gründen sehr interessiert hat.
Clips:
[21:50] "Ich habe mich am Anfang
ziemlich gewehrt dagegen, mit ihm zu arbeiten, und das erklärt auch meine
Bockigkeit und dass ich zum ersten Mal sage 2mache ich allein ich brauche
keinen Kollegen" was journalistisch überhaupt keinen Sinn machte, dass auch die Verantwortlichen sagten "Was isn jetzt mit dem Moreno los, ist der zu lange in Mexiko mit der Karawane durch die Sonne gelaufen.
Wieso wird er so bockig?" Und aus dieser Haltung heraus muss man
vielleicht auch verstehen, warum auch bei den Verantwortlichen es so war ,
dass die anfangs dachten, vielleicht ist da auch etwas komplett anderes
dahinter, dass er jetzt kommt mit diesen komischen Vorwürfen ... Neid ,
Eitelkeit: Ich bin Mitte vierzig, meine Frau sagt, Ich habe meine besten Jahre schon lange hinter mir und er ist halt der Superstar
des deutschen Journalismus, wenn man ehrlich ist und wenn man diese
Geschichten, wenn sie wahr wären, völlig zu Recht. Sind sie aber nicht"
Ich:
[22:44] Dieses Video ist ein
bisschen peinlich, finde ich, als wäre so eine Form individueller
Abrechnung jetzt nochmal notwendig oder als bräuchte Moreno nochmal
diesen Ego-Aufbau-Trip vor einer Kamera.
Er fühlt sich jedenfalls sichtlich wohl hier, wo die Geschichte endlich zu seinem Gunsten umgedreht werden konnte.
Da aber sagt, er sei so bockig gewesen im Umgang mit anderen Spiegel Kollegen ... also es gibt auch andere Formen von Bockigkeit, die durchaus möglich sind.
Als ich zur FAZ kam beispielsweise als Volontär war ich zuvor ein paar Monate als Hospitant im Feuilleton, meiner ersten journalistischen Station, und ich hatte damals eine ganz
erstaunliche Form von Rückendeckung aus der Redaktion bekommen. Gleich von Anfang an. Ich durfte beispielsweise als Hospitant am vierten
Tag, den ich in der Redaktion war, einen Aufmacher auf Seite 1 Feuilleton schreiben.
Das ist bis heute ein ungebrochener Rekord auch wenn ich jetzt nicht mehr so im Detail verfolge, was in den Seiten vor sich geht.
Die Erfahrung mit Platthaus, Rehns, Kaube, Schirrmacher zu arbeiten, hat mich jedenfalls so bestärkt und mir so viel Rückhalt
gegeben, dass ich im Volontariat auch so ein bisschen bockig sein konnte.
[24:12] Im Volontariat geht man ja
dann in die anderen Redaktionen des Hauses und ich will mal kurz meine
einzige Reportage, die ich jemals geschrieben habe, umreißen.
Wir saßen damals als Volontärsjahrgang im Keller zusammen - naja nicht im Keller, überirdisch, aber unten - und dann kam Philipp Krohn aus der Wirtschaftsredaktion zu uns, der in
der FAZ schon einer der herausragenden Reportagen-Schreiber ist, den ich
auch sehr schätze.
Aber damals musste ich rebellisch sein. Wir hatten die Aufgabe, uns ein Thema zu suchen, rauszugehen, Inhalte zu
sammeln, zurück zu kommen, Reportage zu schreiben und so weiter und so
fort.
Und wir sind das Schritt für Schritt durchgegangen also wir haben gute Intros geübt. Das sind natürlich zwingend immer szenische Einstiege. Dann haben wir unserer Story noch einen schönen Arsch gegeben.
[25:07] Also die letzte Pointe soll
natürlich nicht einfach nur so abgeladen werden, sondern darauf kommt es
ja im Grunde an, dass das Finale sitzt.
Ich hatte mir damals überlegt "Na gut dann fahr ich halt in Frankfurt zur Hauptwache."
Das ist eine große U-Bahn und S-Bahn-Stationen, "Fahr die Rolltreppe runter und schreibe unter, Überschrift, "Die Unterirdischen".
Das ist ganz wichtig in seiner Reportage, immer nur ein Wort in der überschrift. Claudius Seidl macht sich in dem Text, aus dem ich gelesen habe, auch sehr lustig über Ein-Satz-Absätze, die natürlich genauso albern sind wie diese Ein-Wort-Überschriften.
Na ja, dann fuhr ich jedenfalls die Rolltreppe runter. Irgendwann richtig früh, also es war nicht nur unterirdisch sondern oben auch.
Und ich dachte, galiueb ich, "Na ich gehe mal so früh, dass noch nicht so viel los ist, dann kann man mit den Leuten besser reden."
Aber stellt sich raus: "Nee, diese Leute arbeiten natürlich alle da unten, die haben da ihre Shops die verkaufen ihre Brötchen. Und ich hatte ehrlich gesagt gar keine Fragestellung, außer natürlich "Wie
arbeitet man hier unter Tage in der modernen Welt abseits des
Tageslichts?" Aber ich hatte keine Fragestellung an die Leute, die da arbeiten.
Ich wollte die vor allem nicht stören bei ihrer Arbeit, also bin ich da so ein bisschen rumgelaufen, habe mich umgeguckt und hab gedacht: "Ach komm, für so nen Übungstext jetzt die Leute von der Arbeit abhalten und so Verlegenheitsfragen stellen?", bin ich zurück in die Redaktion gefahren und habe geschrieben,
es war dann so ein kleiner Lacher dass ich quasi eine Reportage ohne ein einziges Zitat von vor Ort geschrieben habe.
Aber es war für mich sozusagen das Zeichen "Nee, also Reportagen - klar, wenn's auf der Hand liegt kann man es machen - aber ich habe den Wert niemals finden können und ich habe auch danach in
den Hunderten Texten für die FAZ niemals eine Reportage geschrieben,
obwohl ich sehr häufig so große Zweispalter oder ganzseitige Texte
geschrieben habe.
Aber Reportagen waren nie dabei.
Die ganze Stimmung im Haus FAZ ist eigentlich sehr reportagefeindlich .
Schirrmacher hat mal gemeint: "Wir sind kein investigatives Medium".
Und das fand ich einen ziemlich guten Spruch der umso wichtiger wird heute, weil er den Wert des
Journalismus abseits dessen, was dieses Preisträger-Klientel, wie Claudius
Seidl es umschrieben hat, immer wieder als guten Journalismus hinstellt.
Es ist nämlich gerade nicht die einzigartige Beobachtung, die
Journalismus so ganz toll im Journalismus macht, sondern ganz anders: Es ist das begründete Urteil und dieses Urteil ist umso wichtiger, je offener die Entscheidungsgrundlagen daliegen. Also wir haben nur sehr selten Wissensdefizite. Der Autor, der so
literarisch raffiniert über Dinge schreiben kann, über die noch nie zuvor
jemand geschrieben hat, ist eigentlich gar nicht so gefragt, sondern wir
haben eher ein Meinungsüberschuss.
Uns fehlen Urteile und ihre Begründungen und zwar gerade im politischen Journalismus.
[28:24] Reportagen sind was für Sportjournalisten, würd ich's mal ganz salopp sagen.
Da spielen Personen eine Rolle, ihre Intention, ihre Fähigkeiten, ihre Fertigkeiten, ihre Entwicklungen.
2011 bei Pfister konnte sehr viel klüger diskutiert werden darüber was guten Journalismus ausmacht.
Wenn ich hier sage, ich schreibe über Deutschland, die Rentnerrepublik Deutschland, Schicksalsjahre 2023 bis 2045,
werden mir die Sachen, die jetzt in der aktuellen Reportagediskussion diskutiert werden, überhaupt nicht weiterhelfen:
Stand da tatsächlich ein zweites Ortseingangsschild? Waren es wirklich 15 Stufen bis in den Keller der Bar? Hat das kleine
Mädchen in Armenien tatsächlich dieses oder jenes Lied gesungen?
Zapp, das Medienmagazin vom NDR, stellt hier in einem Tweet fest: "Der Fall
Relotius trifft den Journalismus ausgerechnet dort, wo er immer wieder
attackiert wird: bei der Glaubwürdigkeit."
[29:31] Und dann soll man auf einen Text klicken, den die Zapp-Redaktionsleiterin Annette Leiterer geschrieben hat.
Es folgt dann der Hinweis "Kommentar" und ich denke mir nur "Jaja, nach der Reportage
kann man gleich mal den journalistischen Kommentar diskutieren."
Ulrike Simon formuliert ihren "Wunsch für 2019" - so übertitelt sie ihre Medien Kolumne bei SPIEGEL ONLINE - mit dem Hinweis "Diese Kolumne war schon halb geschrieben, als öffentlich
wurde, dass der Spiegel gefälschte Geschichten eines Reporters
aufgesessen ist - ein Versuch, damit umzugehen."
[30:09] Naja, da habe ich für 2019 auch Wünsche: Ich will keine Kommentare mehr, Ich will keine Reportagen mehr, die irgendwem vorgaukeln, nur weil der Text gelungen ist, weil die Kommas richtig sitzen und weil
ausreichend viele Verben statt Substantive verwendet wurden und alles
was man so lernt, wie Reportagen zu schreiben sind, das jetzt eine unerschütterliche Wahrheit verhandelt wird und man möge
doch dem Autor vertrauen auch wenn man nicht selbst die Treppe hinunter
stieg, die er angeblich herunter stieg. Und am allerwenigsten will ich, dass mich Journalisten an ihren Versuchen teilhaben lassen - ich bin jetzt ganz radikal - es sollte nur noch zwei journalistische Textform geben. Das eine ist die trockene Nachricht und das andere ist die
Urteilsbegründung; im Grunde muss im Teaser immer möglich sein
hineinzuschreiben "Die Begründung eines Urteils. Doppelpunkt." Und dann kommt der Text.
[31:06] Naja um das selbst abzuschwächen und auch hier abzukürzen,
eine Reportage möchte ich euch trotzdem empfehlen zu lesen,
denn so ganz überlebt hat sich die Reportage ja nicht wenn sie - und das ist
die Voraussetzung - nicht von einem Journalisten, der auf Themensuche
gegangen ist, geschrieben wird, sondern umgedreht,
wenn man als ganz normaler Mensch ein Thema hat und es gerne kommunizieren möchte und sich dann fragt ,
welches Medium welches Format Könnte ich denn wählen, dann soll man die
Reportage wählen.
Sie ist schnell geschrieben, sie ist kompakt, man kann sie auch in Afrika
mit schlechtem Internet noch runterladen, weil es sind ja nur Buchstaben, man kann sie später durchsuchen, an hat eine URL, man kann sie verlinken und man kann sie archivieren.
Mit der Reportage ist eigentlich alles in Ordnung, wenn nur diese
Berufsjournalisten nicht wären; aber gut.
Der Text, den ich euch empfehle ,
vielleicht habt ihr den auch schon gesehen, ist natürlich der von Michele Anderson und Jake Krohn,
die beiden schreiben über ihr Städtchen Fergus Falls.
Die drehen den Spieß einfach um, sie machen so eine Art Reportagegelistical und Schreiben in zehn
Punkten, von denen ich mir sicher bin, dass sie in einigen
Journalistenschulen jetzt bald gelehrt werden, was so alles nicht stimmt, wenn Journalisten mit schöner Sprachfertigkeit irgendwo hinfahren, für ein paar
Tage da sin,d und uns dann vorzugaukeln versuchen, dass man die ganzen
großen Weltprobleme anhand der szenischen Umreißung eines ganz kleinen Örtchens irgendwo im Nirgendwo abhandeln könnte.
[33:00] Naja, gut nun, mehr schaffe ich jetzt leider nicht.
Man hört es, meine Stimme ist immer noch ein bisschen angeschlagen. Es hat mir sehr
viel Zeit geraubt, ich konnte sie trotzdem gut nutzen, nur nicht am Mikrofon.
Wir vertagen uns einfach auf Januar und schauen dann mal in die Seele Japans.
[33:17] Im Grunde schließen wir direkt an, worüber wir hier heute sprachen. Gérard Depardieu war in Japan für Arte.
[33:25] Wir wissen ja wie das
funktioniert. Arte hat ein Drehbuch. Alle Szenarien sind vorgearbeitet,
organisiert und so weiter und so fort. Man braucht da nur noch
Protagonisten, den man vor die Kamera stellt - ist in diesem Fall Gérard
Depardieu.
Wir versuchen mal eine Re-Engineering dieser Reportage, denn es ist
nicht ganz uninteressant, die wenigen Materialien, die wir haben, dann doch
irgendwie zu nutzen und zu versuchen, sie auszubeuten.
Wir gucken also einfach eine Reportage und machen uns danach ein Bild über ihren Gegenstand.
Außerdem liegen hier noch unendlich viele Clips übers Wohnen in
Deutschland, über Einsamkeit - gerade heute erst wieder trendete bei YouTube ein
kleines Info-Video über Einsamkeit.
Aber für all das ist der Dezember einfach ein denkbar ungünstiger Monat.
Ich bin selbst noch total schockiert davon, auf wieviel Weihnachtsfeiern ich gehen musste.
Aber gut, abgesehen von Zeitproblemen bin ich ganz zufrieden, wie das Projekt hier läuft,
In Citavi ist jetzt ungefähr die Hälfte von allem, was ich gesammel,t habe
eingepflegt, also 180 Quellen und das heißt, ab jetzt wird auch sortieren
und beschränken wichtiger.
Das bedeutet auch, die inhaltliche Arbeit geht im Grunde los also die dann schon auf den fertigen Text abzielt
Diese Sache um Relotius ist jetzt im Grunde nicht allzu wild,
auch wenn der Spiegel jetzt einräumen muss, dass beispielsweise das
Interview mit Traute Lawrenz, das vor gar nicht solanger Zeit für sehr viel Aktivität noch einmal gesorgt hat, weil, sie ist die letzte überlebende der Weißen Rose, dass auch dieses Gespräch von dem Fall Relotius jetzt mitbetroffen ist, weil Teile davon offenbar erfunden sind.
So gilt für mich doch so ein bisschen, da ich jetzt auch Aussenstehender
bin und die geschilderte eigene Erfahrung mit Reportagen und Reportagen-Schreibern eben auch habe, für mich - und das will ich nicht verhehlen - ist dieser
Fall auch mit sehr viel Genugtuung verbunden.
Diese Diskussionen wie gesagt wurde 2011 so unter den Teppich gekehrt.
Schirrmacher hat die richtigen Fragen gestellt, sie wurden nicht
beantwortet.
Claudius Seidl hat 2010 schon die richtigen Themen in den Ring geworfen.
Auch jetzt haben alle Beteiligten ein großes Interesse daran, eher aufgeregt zu sein, aber das Rad vielleicht nicht zu weit zu drehen,
aber vielleicht bleibt 2019 trotzdem einiges hängen, was man auch als
eine positive Entwicklung beschreiben könnte.
Wenn die besinnliche Pause der Stillen Nacht, die ja nun vor uns steht, in
Journalistenkreisen auch dafür genutzt wird, zu reflektieren, ist das auf
jeden Fall eine gute Sache.
[36:16] Denn ein Journalismus, der weiterhin sich mit allem befasst, außer mit sich selbst, wird nicht besser.
Und die Behauptung, man habe sich in den letzten Wochen und Monaten und
Jahren ausreichend mit sich selbst beschäftigt, die kann jetzt als
widerlegt gelten,
der Fall ist Relotius vor allem Ausdruck eines mangelnden Reflexionsvermögens und Reflektionswillens
Dass es ausgerechnet ein 33 jähriger Kollege war
der aus Angst vor dem Scheitern so gehandelt hat wie er gehandelt hat...
Intro
Ich:
[36:56] ...zeigt auch, wie sehr das
eine oder andere noch nicht aufgeklärte Prinzip der Rentnerrepublik so
langsam in die Gehirne und Gemütszustände vordringt.
Also auch wenn das heute ein kleiner Ausflug war hier, in eher Richtung Redaktionsschluss als Rentnerrepublik: so ganz trennen kann man beides nicht.
[37:21] Und damit dir und deiner Familie alles Gute.