Der Ton ändert sich, was überfällig war. Die Neuen sind erstmals in Europa, sie reden, und die Zuhörer sind schockiert. Bei der Zeit ist zu lesen, worüber Vizepräsident Vance heute in München sprach: „Die größte Gefahr für Europa, behauptet Vance in seiner Rede, sei nicht Russland, nicht China. Sondern die ‚Gefahr von innen‘. Dann zeichnet er ein Bild von Europa, in dem die Meinungsfreiheit ausgehöhlt ist, ein Europa, in dem Wahlen willkürlich annulliert werden und der Wählerwille missachtet.“ Wir merken uns mal, wie er von Europa redet.
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Bei The Atlantic hat Anne Applebaum heute schon zu neuen Worten gemahnt. Es gebe Grundbegriffe für das, was Trump und Musk derzeit tun, schreibt sie in der Überschrift. Und dann heißt es in ihrer Unterzeile: „Wie der Regime-Change in Amerika abläuft.“ Das ist nicht schlecht. So könnte die skandalöse Verleihung des Friedenspreises vergangenen Herbst noch ihr Gutes haben: Anne Applebaum? War das nicht die, der wir zuhören sollen? Heute ja.
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Regime-Change also. So klang es heute auch im The-Daily-Podcast von der New York Times. Sie sprachen über Elon Musks merkwürdige Pressekonferenz mit Präsident und Sohn im Oval Office. Wir haben die Tage dem Sohn natürlich mehr zugehört als den Erwachsenen im Raum – aus guten Gründen. Befassen wir uns aber mit Elon Musk. Er hat ein paar rhetorische Fragen gestellt. Beispielsweise: „Wenn die Bürokratie das Sagen hat, welche Bedeutung hat Demokratie dann überhaupt?“ Oder: „Wenn man die Gründerväter heute fragen würde, was haltet ihr davon, wie sich die Dinge entwickelt haben?“ Gute Frage: Was würde Hamilton über Trump sagen? Wir merken uns mal, wie er von früherTM spricht.
Elon Musk meinte mit den Dingen, die sich entwickelt haben, natürlich andere: „Nun, wir haben diesen nicht gewählten, vierten, verfassungswidrigen Regierungszweig, nämlich die Bürokratie, die in vielerlei Hinsicht derzeit mehr Macht hat als jeder gewählte Volksvertreter.“ Als tatsächlich verfassungswidriger Machthaber schob er zur Legitimation seiner Arbeit noch ein paar Zahlen nach: „Wir haben ein Defizit von zwei Billionen Dollar, und wenn wir nichts gegen dieses Defizit unternehmen, geht das Land bankrott.“ Das kennen wir von ihm. Auch Tesla hat er nur gegründet, um die Menschheit zu retten.
Es ist alles gelogen. Tesla hat er nicht gegründet, sondern gekauft. Bei der Bürokratie geht es ihm auch nicht darum, worüber er spricht. Es ist ja nicht sein Geld, es ist ihm egal. Im The Daily reden sie entsprechend über das Geschehen:
„Nach unseren Recherchen geht es nicht nur darum, Bundesausgaben zu begrenzen. Es geht auch darum, Leute in Ämter zu bringen, die die Agenda ohne Fragen umsetzen, ohne bürokratische Hürden aufzubauen. Es geht also nicht nur um Ausgabenkürzungen.“
Angesichts der neuen Worte ist es interessant, auch mal in den Wikipedia-Artikel vom Dogen von Venedig nachzulesen. „Der Doge vereinigte sowohl militärische als auch zivile und richterliche Funktionen, so dass der Amtsträger im frühen Mittelalter eine fast uneingeschränkte Macht auf Lebenszeit besaß.“ Wer weiß, was Elon Musk gelesen hat.
Springen wir in die Zeit zwischen den venezianischen Dogen und den amerikanischen Gründungsvätern, sind wir bei Machiavellis Fürsten. Er kam heute explizit im The Daily vor, um einen der interessantesten Sachverhalte der politischen Gegenwart zu klären. Vielleicht wird er sich bereits dieses Wochenende erledigen. So oder so, er wird in den Geschichts- und Lehrbüchern stehen.
Beginnen wir mit diesem Zitat aus dem Podcast: „Ich habe noch nie eine so unverhohlene Ausübung präsidialer Macht gesehen.“ Michael Barbaro fragt nach: „Du sagst also, es hat einen regelrecht machiavellistischen Wert, die Situation so zu arrangieren?“ Antwort: „Tatsächlich wird das Machiavelli in gewisser Weise noch nicht einmal gerecht.“ Oh je! Hier reden Maggie Haberman, David E. Sanger und Zolan Kanno-Youngs miteinander. Wenn alle Welt den Verstand verliert, diese Leute nicht. Sie meinen, was sie sagen.
Worum geht es? Gegen den demokratischen Bürgermeister von New York City läuft eine Anklage wegen Bestechlichkeit. Es geht um das, worum es in diesen Fällen häufig geht: illegale Wahlkampffinanzierung. Das Verfahren läuft vor einem Bundesgericht. Nun hat aber das von Trump neu besetzte Justizministerium die Behörden angewiesen, das Verfahren nicht weiterzuverfolgen. Das ist für Eric Adams, der im Juni wiedergewählt werden will, ganz günstig. (Wobei bereits ein großes Panel an Herausforderern in die Vorwahlen eingestiegen ist.)
Die Sache hat für Adams allerdings einen Haken. Dieses machiavellische Element wird im Podcast gut erklärt. Hier das Zitat von eben mit dem Kontext.
David E. Sanger: „Trump hätte ihm einfach eine Begnadigung geben können, dann wäre Adams frei gewesen zu tun, was er will. Stattdessen hat er, oder das Justizministerium – wir wissen nicht, ob der Präsident direkt involviert war – den Fall einfach ausgesetzt.“
Michael Barbaro: „Du sagst also, es hat einen regelrecht machiavellistischen Wert, die Situation so zu arrangieren, dass Adams es sich schlicht nicht leisten kann, nicht nach der Pfeife des Präsidenten zu tanzen.“
Adams wäre das Verfahren nur halb los, bis Trump entscheidet, es doch wieder aufnehmen zu lassen. Wenn nun die ethnischen Säuberungen in Amerika beginnen, soll Adams Trump die Tore nach New York City offenhalten. Sie sparen im Podcast nicht mit verallgemeinernden Schlussfolgerungen. „Es ist außergewöhnlich zu sehen, wie ein Präsident sagt, meine Macht wird nicht durch die Kontrollmechanismen der Bundesregierung begrenzt werden. Ich werde mich in Städte einmischen, in den privaten Sektor, auf der globalen Bühne. Ich werde den Trump-Stempel wirklich auf alle gesellschaftlichen Bereiche des Landes setzen.“
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Offenbar sah sich die lokale Polizei heute aufgefordert, sich zu den Sachverhalten zu äußern, die nun absehbar sind. Die Staatsanwälte, die in New York nun Anweisungen von Trumps Justizministerium im Adams-Fall erhalten, verweigern bereits reihenweise die Arbeit und kündigen ihre Stellen.
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Dieser siebte Staatsanwalt, der ging, heißt Hagan Scotten. Er schrieb seinen kurzen Brief so prägnant, dass die New York Times nicht nur darauf verwies, sondern ihn im Original veröffentlichte. Wir sollen ihn also lesen.
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Scotten schreibt nicht um den heißen Brei herum. Er macht sich über die Beteiligten, ihre Anliegen und das Verfahren im aktuellen Stand lustig und belässt es, neben dem Satz zu seiner Kündigung, bei wenigen Sätzen ohne heimlichen Humor. Diesem beispielsweise:
„Kein System geordneter Freiheit kann es der Regierung erlauben, die Karotte der Einstellung von Anklagen oder den Stock der Drohung, sie erneut zu erheben, zu nutzen, um einen gewählten Amtsträger dazu zu bringen, ihre politischen Ziele zu unterstützen.“
Hagan Scotten
Das Justizministerium wendet sich an die Richter, doch auch sie wollen nicht mitspielen. Es wird sich am Wochenende wohl noch entfalten. Womit haben wir es hier zu tun?
Während Vance zu uns kommt, um Vorträge über Europa zu halten, beschäftigt ihn eigentlich etwas anderes, das er noch nicht überblickt: Das Europa vor seiner Haustür, auf seiner Seite des Atlantiks. Peter Sloterdijk hat über diese zugegebenermaßen nicht so offensichtliche, aber interessante Idee in seinem jüngsten Buch geschrieben. Er hatte es natürlich leicht anders gemeint, die aktuellen Entwicklungen waren nicht absehbar, aber es passt.

Das Kapitol also! Bislang traute sich Trump noch nicht dorthin. Zu entscheiden hatten die Abgeordneten bislang nur über das Personal der Regierung, noch nicht über dessen Ideen. Ein Kandidat wurde gleich abgesägt, für einen anderen musste Vance anrücken, um bei einem Gleichstand die 101. Senatorenstimme abzugeben. Die Republikaner standen nicht geschlossen hinter Trump. Noch ein paar Wochen Ankündigungstheater, dann muss Trump zeigen, ob er sich im agierenden, amtierenden Europa zurechtfindet.
Notiz: Wir haben Sloterdijks Buch ausführlich im Salon der Neuen Zwanziger besprochen.
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