Ich bin für ein paar Tage in Griechenland und blicke von meiner Terrasse auf etwas, das in erster Linie ein Naturschauspiel ist. Mitten im heutigen Athen steht ein Felsblock, der jeden Tag die ersten und letzten Sonnenstrahlen einfängt und nachts so hell beleuchtet wird wie ein Flughafen. Allerdings nur, damit es schön aussieht. Nachts darf man nur unten um den Berg herum spazieren gehen und das fühlt sich an, als wollte man den Göttern oben ihre Ruhe gönnen.
Im Akropolis-Museum sind sie im Keller aufgereiht, wie Superhelden: mit Namen und wofür sie stehen. Die Chefin der Runde, Ἀθηνᾶ, überstrahlte damals die Stadt. Auf dem Hügel der heiligen Stätten war sie die Heiligste. Neun Meter soll die Statue von Athena Promachus hoch gewesen sein, um schon von der See aus sichtbar zu sein. Besucht man die Gegend heute, geht man durch beeindruckende Tore und Tempel, von Athena gibt es aber leider nur noch den Sockel. Im Parthenon (dem Säulen-Tempel den wir üblicherweise als die Akropolis bezeichnen) soll sie sogar zwölf Meter hoch aus Gold und Elfenbein gestanden haben. Davon ist derzeit gar nichts zu sehen, das ist einfach zu alte Geschichte.

Geht es einem mehr um die sagenumwobene Demokratie, die ihren Ursprung ja auch hier hat, findet man oben auf dem Berg wenig dazu. Aber direkt an seinem Fuße. Die Athener Agora ist vielleicht der aufregendste Ort für geruhsames Flanieren durch Natur und Geschichte. Hier findet man alles in einer Bilderbuchlandschaft. Die U-Bahn rattert am Rande in einem Graben vorbei, der trennt praktischerweise diesen großen historischen Garten auch vom gewöhnlichen Touristenwesen ab.
Also alles in allem sehr gemütlich, sehr toll, wahnsinnig interessant und nicht weniger spektakulär als das, was man beispielsweise in Rom noch sehen kann. Doch im Museum der Akropolis, das schon als Gebäude sehr aufregend ist, weil es auf Säulen steht, wodurch man unter dem Museum großflächige Ausgrabungen besichtigen kann, während dann das Museum selbst als künstlicher Fels fungiert auf dem im vierten Stock eine Kopie des Parthenon steht, hängt eine sehr interessante Info-Tafel.
Drinnen ist alles hypermodern, aber mit der alten Funktion. Das Dachgeschoss des Museums ist die Schatzkammer. Der meiste Schmuck der Akropolis wird dort vor Wind, Wetter und Weltenlauf aufbewahrt und sozusagen in originalgetreuer Dimension präsentiert. Alles steht und hängt, wo es hingehört. Bei sichtbaren Lücken wird auf den Louvre oder das British Museum verwiesen. Ich glaube, ich kenne kein anderes Museum, das sich eine so sinnvolle Aufgabe gestellt hat, und mir fällt auch keins ein, das seine Aufgabe so gut erfüllt.
Und doch bleibt für die Soziologie eine Lücke. Auf der Info-Tafel geht es um eine heilige Stätte abseits des Akropolis-Ensembles und auch abseits der Athena Agora. Auf der Südseite des Hangs gibt es ein großes Theater.

Man kann es auch auf dem Modell-Bild oben rechts vorne sehen, das Theater des Dionysos. Er war der Gott der Vegetation, des Weines, des Rausches und des ekstatischen Tanzes – quasi der Gott der fröhlichen Lebendigkeit. Man erkannte den Kult um ihn an seinen Symbolen: einem Zweig mit Efeublättern, dem Kantharos-Becher, Weinreben, Theatermasken und dem Phallus. Der Text auf der Tafel endet mit diesem Hinweis:
Die athenischen Kultrituale zu Ehren von Dionysos führten allmählich zur Entstehung des Dramas und zur Einrichtung von Theaterwettbewerben. Das große Theater, das sich oberhalb des Heiligtums befand, war das erste, in dem die Stücke der bedeutendsten antiken Tragödien- und Komödiendichter aufgeführt wurden: Aischylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes.
Ich glaube dort wurde die Demokratie erfunden. Zumindest die Form von Demokratie die wir bis heute veranstalten. Also nicht die in den Sonntagsreden und Lehrbüchern, sondern die in den Parlamenten und Nachrichten. Bevor jetzt Besserwisser Kommentare schreiben: Ja, die Griechen sehen es auch so wie ihr. In der Agora klärt eine Tafel darüber auf.

Aber das kann ja nur die halbe Wahrheit sein. Beziehungsweise gibt es die Demokratie doppelt. Die eine spielt sich im Bouleuterion (Ratsgebäude) ab, in dem die Mitglieder des Rates der 500 (Boule) ihre Sitzungen abhielten. Außerdem gehörten dazu die Tholos (Sitz der Ratsherren des Stammes, der die Exekutivgewalt innehatte), das Metroon (Staatsarchiv) und die Südliche Stoa I (Sitz der Ausschüsse der Ratsherren). So beschreibt es die Tafel. Für eine antike Stadt könnte man sagen, da war Platz für alle (Männer). Aber heute bekommt man von der Demokratie doch nur mit, was in Medien von ihr erzählt wird. Aus dem großen Theater, auf der anderen Seite des Berges, wurde die Demokratie für alle.
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