Demokratie lässt sich nicht demokratisieren

Wenn nur alle mitmachen, wird es für alle besser. Diese bestechende Logik scheint nicht aufzugehen. Ihre Entgrenzung hat das Vorzeichen der Demokratie verkehrt.

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Ich finde den Text nicht mehr, es ist auch schon mehr als zehn Jahre her, aber Dietmar Dath sprach beim Blick auf die „sozialen“ Medien mal beiläufig vom „Partizipationstheater“, um festzustellen: Die Zugangsregeln zum Parlament bleiben unberührt davon, was draußen in der Gesellschaft – bei den von Politikern mit Sagen umwobenen Menschen – passiert. Man fühlt sich den Protagonisten zwar ganz nah, aber man bleibt doch auf Distanz.

Damals ging es um Twitter und Facebook. Seitdem gab es allerlei Firlefanz: stundenlange Sitzungen in „Clubhouse“ während der Pandemie, bis sich (schon nach fünf Minuten Hype) alle daran erinnerten, zu der Generation zu gehören, die alles mit ihren Smartphones erledigt – außer zu telefonieren. Es gab das gemeinsame TikTok-Tanzen mit den Jusos des 20. Bundestags, bis es hieß, das sei albern und chinesisch. Dann verlagerte sich die „Berichterstattung“ in die Podcasts. Politische Beobachter wurden Sitznachbarn von Olaf im Pulli im Regierungsflieger. Eigentlich hätten wir die „Live-Schalte“ als Relikt mit dem gesamten Fernsehzeitalter abschaffen sollen. Stattdessen gibt es nun nur noch Erlebnisjournalismus.

Bis jetzt, schreibt Andreas Püttmann in den Blättern (Besprechung des Textes im Salon), habe sich die AfD aus dem Reservoir der Nichtwähler gespeist. Nun allerdings greife sie das Wählerpotenzial der CDU ab. Es ist dabei nicht nur inhaltlich ärgerlich, dass die AfD nun die CDU halbiert – statt wie von Merz versprochen umgekehrt. Es ist tatsächlich eine Zäsur. Bei Püttmann klingt es so:

Die AfD speiste sich bislang mehrheitlich auch nicht aus der Wählerschaft der CDU/CSU, sondern aus dem Reservoir der Nichtwähler zuzüglich rechter Kleinparteien sowie aus dem linken Spektrum. Diese AfD-Wählerschaft durch Selbstbezichtigung der Demokraten zu rechtfertigen, sich nötiger Kritik an ihr zu enthalten, AfD-Kampfbegriffe zu übernehmen und demagogisch „das Stinktier überstinken“ zu wollen, hat mehr zementierende und forcierende Effekte auf den Rechtsrutsch, als dass es ihm Einhalt gebieten könnte.

Andreas Püttmann

Das Partizipationstheater hat das Parlament nun also doch erreicht. Nichtwähler wurden animiert, CDU-Wähler bekehrt. Die Brandmauer zwischen Parlament und Publikum, zwischen Verwaltung und Wählerschaft, steht nicht mehr. Das bedeutet, dass sich ein Vorzeichen verkehrt. Statt dass die Ochsentour durch die Parteien aussiebt, statt dass die Laufbahn durch die Verwaltung stählt, wird nun nicht mehr überdurchschnittlich, sondern unterdurchschnittlich regiert. Es ist doch bemerkenswert, dass aus 160.000.000 formal qualifizierten Menschen, die genug politisches Engagement zeigen, um sich wenigstens zur Stimmenabgabe zu motivieren, Donald Trump als Präsident Amerikas hervorgeht. Ebenso bemerkenswert ist, dass dieser Prozess mit 60.000.000 Menschen hierzulande zu Friedrich Merz als Bundeskanzler führt.

Hätte man gewürfelt, hätten alle mehr davon gehabt. Merz und Trump haben mit Gemeinwohl und Gemeinsinn nichts zu tun. Genau im Gegenteil – und dafür werden sie auch gelobt –, veredeln sie ihre Biografie auf Biegen und Brechen. Der eine vermeidet das Gefängnis, der andere den Gesichtsverlust. Mit dem Rückschritt des Journalismus vom geschriebenen zum gesprochenen Wort wurden die Aufgaben und Angelegenheiten der Politik auf das Schauspiel und Schicksal von Personen reduziert.

Die Politik ist nicht mehr da, um die Verwaltung vor den Ansprüchen des Wählerpublikums zu schützen, indem Kanzler und Minister „Verantwortung übernehmen“, damit der Alltag im Apparat weitergehen kann. Die Politik ist nun selbst zur Belastung für die Verwaltung geworden. Irgendein CEO soll über die beiden gewaltigsten Themen der Staatsorganisation befinden: Digitalisierung und Personalplanung. Das ist wie DOGE, nur mit guten Absichten – zum Scheitern verurteilt. Aber diesmal wird nicht nur ein Minister irgendwann seinen Hut nehmen müssen, diesmal wird der Staat selbst Wunden davontragen.

Damit läuft einer der Lieblingsbegriffe meiner Generation, die das Internet kennenlernte, als es auch für alle anderen Altersklassen gerade neu war, ins Leere: die „Demokratisierung“. Wann immer es hieß, dass nun etwas nicht mehr nur irgendeiner Elite oder anderen Eingefleischten zur Verfügung stand, sprach man von der Demokratisierung. Blogs waren die Demokratisierung der Zeitung, YouTube demokratisierte das Fernsehen. Google Books demokratisierte die Unibibliotheken. Demokratisierung galt als die ultimative Verbesserung. Alles sollte Open Source werden, jeder sollte mitmachen.

Aber jetzt haben wir den Salat. Alle machen mit, aber es kommt nichts mehr bei rum. Die Demokratisierung der Demokratie raubte der Politik ihre Leistungsfähigkeit. Inklusion als Reduktion auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Vor 16 Jahren schrieb Max auf Twitter: „Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen.“ (Vor 14 Jahren schrieb Johnny hier darüber, der originale Tweet ist sicherlich gelöscht.) Der Spruch war damals schon unheimlich klug. Heute wird es jeden Tag unheimlicher.

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