Im ersten Sommerspecial von „Lanz & Precht“ stecken zwei schöne Pointen. Eine ganz am Ende, eine gleich zu Beginn. Richard David Precht ließ sich viel Zeit, wohl um Schwung zu holen. Lanz fragte, als die Stundenmarke gerade überschritten war: „Darf ich nochmal fragen, Richard, du gehst davon aus, dass wir als Menschheit bald verschwinden werden, als Spezies?“ Precht dann:
„Ja, also was heißt bald? Also ich bin ja kein Prophet, der jetzt sagt, die Apokalypse kommt in 70 oder 100 Jahren. Schon klar. Ja, also irgendwann im Laufe des nächsten Jahrhunderts. Also im Laufe des 22. Jahrhunderts.“
Damit war einiges nicht so Vorteilhaftes über die Menschheit an sich gesagt. Precht hatte damit aber auch konkret und scharf über Markus Lanz geurteilt. Denn dieser verwandte die Stunde bis dahin mit dem sorgfältigen Aufbau einer Persona, die in Boomer-Manier an dem Sinnspruch herumwerkelt, dass es ja schon immer gut gegangen sei.
„Et hätt noch emmer joot jejange“, sagen Lanz’ Altersgenossen im Rheinland. Seine bayerischen Generationsgenossen sagen: „Schau ma moi, dann seng ma’s scho.“ In Stuttgart säuseln sie: „’S kommt, wia’s kommt.“ Allen ist gemein, dass sie recht haben. Von ihrer Geburt bis heute ging’s irgendwie. Nix gwiss weiß ma net. Mir doch egal. Sollnse machen.
Zur selben Zeit sterben sie allerdings wie die Fliegen, weil sie schon nicht mehr in der Lage sind, ein Glas Wasser zu trinken. Die andere große Pointe in dem Talk bot Luisa Neubauer zu Beginn. Lanz: „Mein Gefühl ist, und ich weiß nicht, ob ich das exklusiv habe, mein Gefühl ist, Klima spielt eigentlich gerade gar keine Rolle mehr.“ Luisa Neubauer beendete ihr Eingangsstatement so:
„Und die Leute bräuchten jetzt gerade den Rückenwind und die bräuchten die Aufmerksamkeit und die müssten eingeladen werden in einschlägige Formate, um darüber zu sprechen, dass da tatsächlich mehr passiert, als man meinen würde.“
Nichts ist derzeit so einschlägig wie die Sendung von Markus Lanz. Er, der in seiner Sendung gerne seine Hausherrschaft nutzt, wurde in diesem Gespräch selbst brutal eingeklammert. Die Welt geht unter, und du schaust nicht hin, Markus. Wie kann das sein? Auf diese Frage bezogen, bot das Gespräch einiges.
Lanz’ Eingangsfrage zur Themensensibilität ging beispielsweise noch so weiter: „Wir reden über Rüstung, wir reden über Russland, wir reden über Sicherheit.“ Das stimmt ja nur so halb. Wir reden nicht nur über Rüstung und Russland, wir lassen uns auch einreden, dass es das wichtigste aller Themen sei: Einmal falsch geblinzelt, steht Putin schon in Berlin.
Man stelle sich mal vor, man säße bei Lanz in der Sendung, eingeklammert vom Showmaster, Kiesewetter und bayerischen Grünen und würde dann zu russischen Angriffsszenarien sagen, was Lanz über die Klimabewegung sagt:
„Ich frage das ganz bewusst, ganz offen. Weil das ist das, was ich in Gesprächen immer so mitkriege, was die Leute unglaublich nervt, diese apokalyptische Rhetorik … in der Klimafrage.“
Da müsse man die Leute, ihre Trägheit, die Dummheit, die Ignoranz, die Ausflüchte schon verstehen. „Wenn mir ständig erklärt wird, morgen geht die Welt unter. Das ist doch nachvollziehbar“, sagt Lanz. Luisa Neubauers eifrige Erwiderungen auf vielerlei Unsinn waren an dieser Stelle beispielhaft: „Ich entschuldige mich für die apokalyptische Rhetorik, aber das ist einfach Wissenschaft.“
Man hält sich lieber an die alten Grundsätze: Morgen ist auch noch ein Tag. Dieser Gedanke ist für Markus Lanz ein rettendes Ufer. Er versucht mehrfach anzulanden. Beispielsweise indem er auf Bangladesch verweist, wo man den Fluten wohl Land abgetrotzt hat, was aber so weit weg ist, dass er nur Halbwissen dazu hat und die anderen beiden gar nichts dazu sagen können. Man könne jedenfalls etwas tun. Aber schon beim Ahrtal wird es grotesk – aber beispielhaft. Lanz argumentiert so:
„Schau dir Meteorologie an, Wettervorhersagen. In reichen Ländern haben wir eine Dichte von Wetterstationen heute, von Messpunkten, die es uns möglich macht, auf sieben Tage genau das Wetter vorherzusagen.“ Das stimmt. Aber Wettervorhersagen sind eben nur das eine. Das andere summiert Lanz einfach hinzu: „Die Katastrophe im Ahrtal, die ihr gerade angesprochen habt, die war vermeidbar.“
Man hätte die Menschenleben retten können, allerdings. Nur wäre der dreitägige Regen dennoch die zweitteuerste Naturkatastrophe der Welt geworden. In sieben Tagen kriegt man zwar die Welt erschaffen, aber weder einen Damm gebaut, noch einen Wald als Schwamm gepflegt, noch ein Haus versetzt. So zieht es sich durch die gesamte Stunde Gespräch.
Markus Lanz ist ein lehrbuchartiger Fall. In seiner Sendung bespielt er deutsches Fernsehpublikum. Er ist die Persona, die von 70+ als Betthupferl erwartet wird – nicht zu kompliziert, ein bisschen doof, auf Ausgleich bedacht und junge Leute zurechtweisend. Im Podcast mit Richard David Precht lässt sich seit Jahren die Differenz heraushören, wenn der Gesprächspartner eben doch einen Unterschied macht und Lanz wenigstens mit Empirie und Vorüberlegungen punkten möchte. In diesem Gespräch allerdings wurden die Grenzen offenbart.
Nur eins von vielen paradigmatischen Beispielen zum Schluss. Markus Lanz sieht die Welt in folgendem Gefüge:
„Wirtschaft, erfolgreiche Wirtschaft, eine gut funktionierende Ökonomie, ist die Voraussetzung für guten Klimaschutz.“
Es könnte ja aber auch das Gegenteil wahr sein, auch wenn man es nicht will, dass die Wirtschaft Flüsse mit Wasser braucht, Rohstoffe in den Böden, Nährstoffe auf den Feldern, Zollfreiheit am Ende des Schornsteins. Wenn überhaupt: Was ist denn das Kriterium für „erfolgreiche Wirtschaft“ und „funktionierende Ökonomie“ wenn bei 45 Grad Proteine klumpen?
Und darf man als Talkmaster eigentlich ernsthaft fragen, ob die persönliche Bedrohungslage von Luisa Neubauer auch mit ihrer apokalyptischen Rhetorik zusammenhängt – wodurch er natürlich auf seinem Felde den Human-Interest-Motor anschmeißt, er also auf Neubauers Einwürfe nur erklären kann, was er mit der Frage alles nicht meinte und überhaupt.
Dass Markus Lanz mehr ist als eine Person, die öffentlich spricht, ist klar. Wenn man das Phänomen insgesamt betrachtet, also auch als eine Persona, der man zuhört, wird einem beim medialen Status quo angst und bange. Precht hält es offenbar noch aus und reizt es vielleicht auch für uns noch ein wenig aus. Vielleicht sollte man Gespräche einfach häufiger auf den Boden der Tatsachen zurückholen und feststellen, dass es eh egal ist. Nicht, weil es ja bisher immer noch schön wurde, sondern weil der Scheiß einfach unabwendbar ist. Im nächsten Jahrhundert sind wir alle tot, und dann können wir noch darüber diskutieren, ob wenigstens Prechts Nachsatz witzig gemeint war.
Ich zitiere die „letzte Verpflichtung“, von der Precht sprach, nicht direkt, sondern nur die Nachfrage von Lanz: „Das heißt, Richard, wir würden, bevor wir untergehen, räumen wir nochmal kurz auf, wischen nochmal feucht durch?“ Tja. Ja! Am Ende muss man mit den Boomern selbst über die selbstverständlichste Klo-Weisheit noch diskutieren, ob man die Toilette so verlassen könnte, wie man sie vorfand. Abschlusspointe ist dann wohl: Das war schon so, ciao.
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