Schrumpfen und Verkümmern

Das neue Zauberwort heißt „Kohäsion“. Nationalkonservative verkaufen uns mit ihm brutale Degrowth-Phantansien. Analyse einer politischen Selbstzerstörung.

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Kinder, so hören wir, werden „weder frei noch gleich geboren“ – sondern in Familien. Eltern brächten nicht nur gehörige Portionen Essen in diese jungen Leben, sie überhäuften ihren Nachwuchs auch mit allerlei Ideen. Diese Prägung von der einen Seite vergelten die Kinder dankbar mit unhintergehbarer Loyalität. Das, sagt Yoram Hazony bei Ezra Klein, sei der „fundamentale menschliche Baustein“, auf dem alles stehe. Nun könnte man von der Zivilisation an sich, der Geschichte oder dem Schicksal sprechen. Doch Hazony geht es natürlich primär um „die Nation“.

Der Hinweis, dass spätestens ab Geburt, eigentlich schon zur Zeugung, wenn nicht schon beim Dating, die Kultur die Natur in den Schatten stelle, ist weder neu noch aufregend. Doch heute, da der Nachwuchs bis zur Midlife-Crisis und Menopause von der Mietbürgschaft der Eltern abhängt, es also kaum noch zu jugendkulturellen Abnabelungen kommt, weil einfach zu viel Schicksalsvergemeinschaftung gefordert wird, fallen solche Sätze leicht: „Mein Argument ist, dass Kinder aufwachsen, indem sie den Dingen Ehre erweisen, die ihre Eltern ehren.“

Von hier aus gesehen ist 1+1 auf kurzem ideologischem Wege 2: „Wenn man also eine größere Perspektive einnimmt, können diese Familien auch untereinander loyal sein.“ Klingt einleuchtend. Jeder sehe doch ein, dass sich „Familien mit anderen Familien zu Clans zusammenschließen, und Clans sich mit anderen Clans zu Stämmen formen, und Stämme mit anderen Stämmen zu Nationen, und dann gibt es Familien von Nationen“. So vulgär hört man es selten. Die Familie determiniert zu Beginn alles, das müsse man nicht hinterfragen. Und am Ende ist der Begriff ebenso reichhaltig, dass man ihn einfach noch einmal verwendet – Nationen in Familienverbänden.

Ezra Klein hält in dem Gespräch gut dagegen. Wir bleiben aber bei der Argumentation von Hazony. Denn dieser verteidigt nicht nur sein Denken, sondern auch die politische Realität. Klein lässt Hazony mehrfach J. D. Vance deuten. Es geht also nicht um eher ältere Bücher, sondern um die aktuelle Politik des amerikanischen Präsidententeams. Dem ist schon mehrfach ein rassistischer Einschlag unterstellt worden. Man hört wenig davon, welche Rolle Vance konkret spielt. Den neuen praktischen Rassismus rechnet auch Hazony eher Stephen Miller und anderen zu.

Doch im Gespräch gelingt es Ezra Klein, dem eher zurückhaltenden und freundlichen Yoram Hazony die Erklärung für das Fundament der neuen amerikanischen Brutalität zu entlocken. Klein spielt zwei Redeausschnitte von Vance im Original. Zum einen sagt er: „Ich denke, die Menschen, deren Vorfahren im Bürgerkrieg gekämpft haben, haben einen verdammt viel größeren Anspruch auf Amerika.“ Damit ist ein archimedischer Punkt gesetzt, der sich – wie wir aus unseren Diskussionen wissen – genauso gut als Vogelschiss der Geschichte hätte deklassieren lassen, je nach retrospektivem Sinngehalt der Kriege.

Zum anderen redet Vance aber auch von seiner persönlichen Familiengeschichte: „Als meine Frau und ich – als ich ihr einen Heiratsantrag machte – waren wir auf der juristischen Fakultät, und ich sagte: ‚Schatz, ich bringe 120.000 Dollar Schulden aus dem Jurastudium und ein Grabgrundstück in Eastern Kentucky mit. Und das ist es, was du bekommst.‘“ Seine Frau hat sich also auf eine immaterielle Hochzeitsbeigabe eingelassen, die ihr wichtiger schien als Haus und Hof.

Usha Bala Chilukuri wurde in Amerika geboren, ihre Eltern kamen aus Indien. Aber damit war sie, so gesehen, noch längst nicht amerikanisch. Amerikanisiert wurde sie, aus J. D. Vances Sicht, wohl erst, als sie seine amerikanische Herkunft seiner prekären Lage überordnete. Ihre Eltern kamen nur wenige Jahre vor ihrer Geburt nach Amerika. Beide arbeiteten im wissenschaftlichen Betrieb an der Universität. Sie zählten zur hohen Mittelschicht. Ihr Stadtteil in San Diego wird knapp mehrheitlich als „White“ beschrieben. Mehr als 30 Prozent gelten als „Asian“.

Im Gespräch redet Yoram Hazony über Nationalkonservative – deren Themenkonferenzen er veranstaltet –, die sagen, Amerika könne sich lediglich „15 Prozent ausländische Bevölkerung“ leisten. Dies sei das „Maximum, was das Land aufnehmen kann, bevor es buchstäblich anfängt, auseinanderzufallen“. Schön und gut, dass sie da sind, um wie in San Diego Wissenschaft zu betreiben. Aber richtig amerikanisch sind sie ja nicht – und ihre Kinder eigentlich auch nicht, obwohl Amerika die Nationalität bislang an die Geburtsstätte band.

Hazony redet im Gespräch von „missbräuchlicher Einwanderungspolitik“, geforderten Einwanderungsmoratorien, weiteren Beschränkungen. Leider fragt ihn Ezra Klein nicht, was er von den gegenwärtigen ICE-Aktionen hält. Die gelten manchen Beobachtern als ethnische Säuberungen. Zwar gab es schon vergleichbare Abschiebewellen, aber diesmal hat die Sache auch eine öffentlichkeitswirksame Komponente – die Ausländer jenseits der 15 Prozent sollen abgeschreckt werden.

Tucker Carlson verkauft sein Familienbild

Dass Trump ausgerechnet zum Geburtsrecht ein Urteil vom Supreme Court erhielt, mit dem er sich künftig von allerlei richterlicher Einflussnahme „befreien“ konnte, wurde leider auch nicht besprochen. So wurde auch der zentrale Punkt, den ich in dem Gespräch gelernt habe, nicht direkt besprochen: Die Amerikaner von Rang und Namen (Familiengeschichte) möchten über das Land herrschen, wie sie ihre Familien beherrschen. Man sucht sich eine Frau aus und adelt sie mit Mitgliedschaft in der großen Bande. Dieser wiederum wird untergeordnet, dass es höhere Ziele als wirtschaftliche Prosperität, internationales Ansehen, allgemeine Menschenwürde oder naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt gebe.

Hazony stellt die „Kohäsion“ zentral. Damit beschreibt er eine nationale Eigenschaft, das Volk krisenfest zu machen und es abzuhärten, auch gegen Angriffe von außen, Hass im Inneren, Naturkatastrophen und wirtschaftliche Einbrüche. Sie lösen das darin steckende Rätsel im Gespräch nicht auf, sondern belassen es bei einem ungelösten Frage-Antwort-Spiel, das wir nur wiedergeben können.

Ezra Klein mit Yoram Hazony

„Sie müssen die Macht des Staates auf eine Weise nutzen, die ich als intolerant bezeichnen würde, um das Zentrum wiederaufzubauen, um die nationale Stärke wiederherzustellen, sodass wir wieder tolerant sein können“, fragt Ezra Klein. „Das ist es, was sie denken, was sie tun, ja“, sagt Yoram Hazony. Tucker Carlson sprach bereits auf seinen großen Bühnen davon: 50 Millionen Menschen müssen raus. Lieber brenne er sein Haus selbst nieder, bevor er Mitbewohner akzeptieren würde, die seine Familie im Alltag störten.

Tucker Carlson im All-In Podcast

Die Pointe ist aber, dass sie diese politische Kraft für ihr Projekt nur haben, weil Amerika 200 Jahre lang Ausländer akzeptiert und ausgebeutet hat. Eigentlich brauchen sie noch mehr davon. In Amerika ist die Kinderzahl pro Frau in diesen Wochen unter 1,6 gerutscht. Blendet man diese historische Zäsur aber aus, während man gleichzeitig die Geschichte seit den großen Kriegen überbetont, endet man beim russischen Schicksal. Man wollte 500 Millionen Staatsbürger, hat aber nicht mal mehr 150 Millionen. So gelingt nicht mal mehr ein Einmarsch in Kuba.

Weiterführende Gedanken dazu sowohl in der KINDERWÜSTE, also auch im laufenden Betrieb des Neue Zwanziger Podcasts.

Eine Antwort

  1. Danke für die Einordnung. Hat Ezra ihm nicht entlocken können, dass die Abschiebepraxis zu verurteilen ist? (Ca Minute 38). Er eiert zwar dann um sowas wie einen Aushandlungsprozess rum („values to be balanced“ oder so), gibt aber in einem Halbsatz zu, dass ICE und Forschungszensur nicht gut sind.
    Wunsch: Wolfgang möge Hazonys seltsames Verständnis von Marx und Klassenkampf einordnen. (Ca Min. 34)

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