Es ist ein seltener Moment, in dem ich Anhänger einer Idee des politischen Berlins bin. Noch seltener ist, dass ich mir eine radikale Ausweitung der vorgeschlagenen Idee wünsche. Eigentlich ist es nie so, dass ich führenden Politikern der CDU, zudem derzeit in Regierungsverantwortung, umfänglich Recht gebe. Aber dieser Tage geschah es. Man muss nur das anlassgebende Thema etwas dimmen.
Aber da setzen wir kurz an: Verteilen wir doch nicht die einen Lebenschancen so, die anderen so, sondern denken wir grundsätzlich neu – und einfacher: Wer darf wo arbeiten, wo wohnen, wo lernen und Spaß haben? Aktuell preisen wir hier immer viel zu viel Vergangenheit und anderes Nebensächliches ein. Je nach sozioökonomischem Status unterscheidet sich die Lebenserwartung von Männern um bis zu elf Jahre. Bei den Frauen, die sich mit etwas mehr Vernunft gegen widrige Umstände stemmen, sind es auch noch acht Jahre. Lange Rente bekommt nur, wer vorher schon viel Geld hat.
Bei der Bildung wird Lebenszeit ähnlich verteilt. Männer mit Abitur leben drei Jahre länger als Schulabgänger von der Hauptschule (die letztlich doch mehr Lebensarbeitszeit aufbringen). Bei Frauen sind es vier Jahre Unterschied.
Betrachtet man nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die „Healthspan“, also die gesunden Lebensjahre, sieht man erstaunliches: Gehören Männer zur sozioökonomischen Spitze, leben sie 15 Jahre länger in Gesundheit. Frauen gewinnen gut ausgestattet mehr als zehn gesunde Jahre.
Wir können uns die grundlegende Argumentation zu diesem Phänomen sparen: Wir wissen, wie sehr die eigene Bildung durch die Eltern geprägt wird, welchen Unterschied die Größe des Kinderzimmers, Abwechslung durch Urlaubsreisen und die Verfügbarkeit von „Kopf-frei-Budgets“ haben. Warum sind wir in diesen Punkten nicht fairer und gerechter? Diese Fragen, schon diese Worte, sind in der konservativen Boomer-Community tabu.
Bis es nun dieser Tage darum ging, eine konkrete Lebenschancenfrage zu diskutieren: wer sich nämlich gleich zu Beginn der eigenen Biografiegestaltung auf den kommenden Schlachtfeldern zu opfern habe.
Wir hörten vom CDU-Politiker Jens Spahn:
„Wie stellen Sie ein möglichst gerechtes Verfahren her, wenn Sie absehbar nicht ganze Jahrgänge ziehen müssen, weil Sie den Bedarf nicht haben? Da scheint mir das vorgeschlagene Verfahren das fairst Denkbare. Ich habe jedenfalls noch keinen faireren Vorschlag gehört.“
Er meinte das vorgeschlagene Losverfahren. Sein außenpolitischer Kollege Norbert Röttgen sagte Ähnliches, direkt am Rednerpult des Bundestags:
„Nach dem Zufallsverfahren trifft jeden Mann die gleiche Chance, das gleiche Risiko. In dieser Gleichheit liegen die Fairness und die Rationalität dieses Verfahrens. Und darum haben wir uns für dieses Verfahren entschieden.“
Ich habe mit Mick diese Woche lange überlegt, wie es zu diesem Vorstoß in der CDU kommen konnte. Wir können es uns nicht erklären. Niemand kann es erklären. Auch junge Menschen, die sich längst für die Bundeswehr entschieden haben und bereits fertig uniformiert im Panzer sitzen, können es nicht verstehen. Wortspenden von ihnen in den Abendnachrichten:
Wir haben ja alle eine Freiheit und ich finde, die wird einem damit genommen, dass die Leute dazu berufen werden, das zu machen, ohne wirklich zu fragen, ob die das machen wollen. Deshalb finde ich es nicht gut.
Ich sage, nicht jeder ist für die Berufe hier gemacht und nicht jeder zeigt das C. Und ich finde, wenn man dann genau diese Leute dazu zwingt, dann funktioniert das Ganze auch nicht.
Fast möchte man vorschlagen, diese jungen Menschen in die CDU-Fraktion zu schicken, damit es neben der Verteidigung auch mit der Verteidigungspolitik endlich klappt. Die CDU zeigt nämlich wieder ihre gewohnte Engstirnigkeit. Wie schon beim Schutz des ungeborenen Lebens, das direkt nach der Entbindung millionenfach in die Armut geschickt wird, hat niemand von denen darüber nachgedacht, was die Bundeswehr am Tag eins nach der Zwangseinweisung mit den Leuten anfangen soll.
Das ist der Weg: Egal wer wo landet. Jeder sollte danach sagen können, es sei wenigstens so gerecht zugegangen, dass man jedenfalls noch keinen faireren Vorschlag gehört habe.


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