Meine Stadt soll endlich schön werden

Wo sonst als im Feuilleton sollte der Stadtbild-Diskurs stattfinden? Eine Aufforderung.

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Frankfurt ist für vielerlei berühmt und sichtbar. Wenn in China ein Sack Reis umfällt wird das vom Frankfurter Börsenparkett vermeldet. Fürs Fernsehen ist die Frage nach dem Stadtbild dann leicht: Skyline. Noch einladender für die Journalisten ist, irgendwas zur EZB zu sagen, das geht gar nicht ohne flankierendes Panorama. Nur wenns zur Sache geht, wird es brenzlig. Wenn einmal im Jahr die Kameramänner auf Motorrädern den Ironman begleiten, sieht man es aus nächster Nähe. Das aufwendig ausgebaute Mainufer, wo der Marathon stattfindet, ist recht schäbig. Und das ist das eigentliche Frankfurt. Geht man ein paar Schritte in die Stadt, wird es nicht besser.

Wir Frankfurter folgen alle Frankfurt.trash auf Instagram, um uns über die Neuigkeiten in der Stadt zu informieren. (Stimmt nicht ganz, wir hören alle „Damals in Frankfurt“ als Flucht vor den Neuigkeiten.) Warum verlottert das alles so? Frankfurt ist doch eine der reichsten Kommunen Europas. Bürgermeisterwahlkämpfe drehen sich hier um die Frage, was man mit einem Gewerbesteuerüberschuss von 500 Millionen Euro anfängt. (Stimmt auch nicht ganz. Die Leute wollen nur hören, dass sie mit ihrem Auto überall parken dürfen.)

Geld ist überall. Allein die privaten Mietzahlungen summieren sich für die 330.000 Mietwohnungen auf mehr als 5 Milliarden Euro. Der Einzelhandel macht fast 6 Milliarden Euro Umsatz.1 Hinzu kommen vielerlei Dinge. In dieser Stadt, die man mit dem Fahrrad innerhalb einer Stunde durchkreuzen kann, tobt das Leben und das kostet sehr viel Geld. Hier werden manchmal einzelne Gebäude für Milliardenbeträge verkauft.

Und dennoch: Mal ein Zebrastreifen? Schwierig. Schwimmhallenumbau? 3 Jahre. Zuverlässige Bahnverbindung zwischen Innenstadt und Stadion/Flughafen? Nö. Fahrschein? Trotzdem 3,80 Euro. Ein Sturm zerstört eine Brücke? Die neue, eine Baugerüstimprovisation, muss einfach ein paar Jahre halten. Mike Josef (unser Oberbürgermeister) sprach bei einer Veranstaltung davon, dass es Wahllokale gebe, in denen regelmäßig eine Wahlbeteiligung von weniger als 10 Prozent gemessen wird. Mehr Disconnect geht kaum.

Kurz gesagt: Wir haben recht viele Probleme. Aber auch recht viel Geld, um Probleme zu lösen. Und wir haben noch ein großes Alleinstellungsmerkmal in der Stadt: Kluge Köpfe. So warb zu meiner Zeit die F.A.Z. für sich. Diese Zeitung hat inzwischen einen Podcast und dieser nahm heute das Angebot des Bundeskanzlers an, über das „Stadtbild“ zu diskutieren. Es gäbe so viel zu sagen. Und man könnte so viel sagen, weil Merz so spontan und schwammig geredet hatte, dass man ihm eigentlich dankbar sein müsste, dass die Debatte um die Innenstädte endlich beginnt.

Stattdessen Rätselraten. Feuilleton-Herausgeber Jürgen Kaube redet mit keinem Wort über die Probleme aller, sondern kriecht Merz in den Kopf. Dem Kanzler sei es wohl gar nicht um alles, unsere konkrete Lebenswelt, unsere Heimat gegangen, sondern um „herumstehende Jugendgruppen, im nachtaktiv, vielleicht auch angetrunkenen oder jedenfalls euphorisierten Zustand“. Dort, „wo man dann vielleicht nicht gerne durchgeht, egal ob Tochter oder Sohn“. Was soll mir das sagen? Beim Stadtbildkommentar seien „bestimmt nicht Lungenärzte gemeint“, sagt Kaube. Ja, sonst hätte er ja Lungenärzte gesagt. Die Zahnärzte hatte er auch klar benannt.

Weiter geht die Merz-Verständnispornographie mit der Vermutung, der Stadtbild-Satz sei eine „halbbewusste Kompensation“, weil der Kanzler sonst ja eher nüchterne Rhetorik habe. (Nur aus Kaubes Sicht.) Merz habe „wahrscheinlich nicht zu Unrecht adressiert, dass es einen statistischen Zusammenhang zum Beispiel zwischen Herkunft und Kriminalität gibt“. Ja, gut. Dann übt Kaube doch noch ein wenig Kritik an Merz, der besser „selber ausgedrückt hätte, was er natürlich nicht meint“. Denn dann wäre – ja, was wäre eigentlich?

Nun haben wir eine Debatte, da stimme ich Kaube zu, die „nicht vom Verstand getragen“ sei. Alle stünden „sprungbereit“ da und warteten nur auf das nächste Wort des Kanzlers, um längst fertige Urteile nochmal zu fällen.

Schade! Ich erwarte von meiner Zeitung, die ich gerne lese und höre, für die ich gerne bezahle und die ich in guter Erinnerung habe, dass sie den Kanzler ernstnimmt und in die notwendige Diskussion einsteigt: Warum sieht unsere Stadt so aus, wie sie aussieht, obwohl hier jedes Jahr so viel Geld durchfließt?

  1. https://www.frankfurt-business.net/handel/

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