Stefan Schulz

Soziologe, Autor und Podcaster

Elon Musks Gamergate

Elon Musk ist der erfolgreichste Unternehmer unserer Zeit – gemessen am Vermögen. Sich auch als erfolgreicher Gamer feiern zu lassen, misslingt ihm allerdings, er spielt gar nicht selbst. Statt dieses „Skandals“ stellt sich die Frage, wer eigentlich seine Raketen entwickelt und die Autos baut.

Grok: Elon Musk sitzt an einem Computer und spielt

Elon Musk ist der erfolgreichste Unternehmer unserer Zeit. Das ist leicht gesagt, weil der Maßstab berechenbar und unbestechlich ist – Geld. Aber es ist doch zweiseitig bis zweischneidig. Zu 400 Milliarden Dollar kommt man nicht durch Arbeit, sondern nur durch Arbeitsteilung. Das Wortanhängsel hat hier dieselbe Funktion wie im Wort „Beteiligung“, von Seiten des Kapitals betrachtet. Geld ist eine absolute Kategorie. Bei den Anteilen geht’s um Relationen.

Es gibt einen Quotienten, der es abbildet. Er setzt sich zusammen aus dem Wachstum an Unternehmenswerten und den Anteilen aller, die dieses Wachstum mit vorantreiben. Private Equity-Verträge auf der einen Seite, Arbeitsverträge auf der anderen. Irgendwer muss die Geräte bezahlen und die Dinge erledigen, die als Ideen im Raum stehen.

Für den Zampano heißt das: Man möchte möglichst groß wachsen, mit Hebelkräften, aber von den gewonnenen Werten auch möglichst viel behalten. Dieses Gelingen gibt der Leistungsgesellschaft ihren Namen. Wer nur arbeitet oder nur aus der Ferne investiert, bleibt immer nur Sidekick, Supporting Act. 

Perplexity

Elon Musk ist dieses Delegieren seiner Finanziers und Arbeiter besonders gut gelungen. Musk besitzt rund 13 Prozent von Tesla, obwohl sich dort 120.000 Mitarbeiter am Aufbau des Unternehmenswerts beteiligen. Er besitzt 42 Prozent von SpaceX, wo 15.000 Menschen mitarbeiten. Nun braucht er immer seltener fremdes Geld und regiert die Belegschaften mit seinen neuen DOGE-Prinzipien – weniger Leute, mehr Wachstum. Vielleicht klappt’s.

Bei Twitter hat er den Leistungsquotienten schon sehr strapaziert. Er senkte die Zahl der Mitarbeiter von 7500 auf 1500. In ähnlichem Ausmaß kürzte er den Namen, vergraulte die zahlenden Werbekunden und öffnete sich kaum für Investoren. Entsprechend blieb auch vom Kaufpreis, 44 Milliarden, inzwischen kaum etwas übrig. Wahrscheinlich ist der Wert des Unternehmens heute kleiner als der Schuldenstand. (Aber hier finden ohnehin interessante Verrechnungen statt. Wer sie kennt, weiß alles besser.)

Es laufen allerdings Wetten, ob das Tweetarchiv als Trainingsmaterial für XAI taugt und ob weniger, aber radikalere Tonangeber auf der bei Journalisten beliebtesten Meinungstauschbörse ausreichen, analoge politische Launen gezielt zu steuern. Der ökonomische Verlust wäre dann durch politische Zugewinne ausgeglichen, was derzeit ja beispiellos gut gelingt.

In all diesen wirtschaftlichen und politischen Unternehmungen Musks gilt: Er spielt. Er überschreitet Grenzen und betritt unentdecktes Land. Er probiert unerhörte Strategien aus, ruft Gegenspieler aus, zerrt sie rücksichtslos aufs Spielfeld und er definiert ständig neue Regeln.

Frage des Kölner Stadtanzeigers

Bei allem gilt die Logik, die David McWilliams diese Woche in seinem Podcast maßgebend für unsere Zeit beschrieb: Mit wirtschaftlicher Größe geht nicht Stabilität einher, sondern Fragilität. Die Unternehmen sind so groß, dass sich ein Kleinanleger-Investment nur auszahlt, wenn sich am Unternehmenserfolg die nächsten 30 Jahre oder länger nichts ändert – was dem aktuellen Diskurs und unserer Lebenspraxis doch sehr radikal widerspricht. Das ist eine neue Kategorie nach too big to fail. Denn von diesen Turbulenzen sind nicht nur die Kleinanleger betroffen, die sich dafür entschieden, das Theater als Aktionäre mitzumachen.

Sometimes when you just feel that you are at your most secure, your wealthiest, your most upbeat is the moment of greatest financial risk.

David McWilliams

Wenn Unternehmenserfolg so sehr vom Unternehmererfolg abhängt, verlagert sich auch die Kunst der Prognose von den Wirtschaftswissenschaften zur Psychologie. Das passt zum Zeitgeist, und Wirtschaft galt ja schon immer als „80 Prozent Psychologie“. Elon Musks Potenziale werden nun auf den Feldern ermessen, die er als Spielfeld seiner Potenz ausgeflaggt hat. Das sind zum Beispiel die tatsächlichen Spiele „Path of Exile 2“ und „Diablo“.

Wenn sich Elon Musk in den Spielen Profile andichtet, die in den jeweiligen globalen Top Ten rangieren, teilt er etwas mit. Beispielsweise, dass es sich nicht mehr lohnt, danach zu fragen, welche Bücher Top-CEOs lesen, wenn sie dafür gar keine Zeit haben. Dass Musk dabei erwischt wird, dass seine Spielfiguren auch während öffentlicher Termine online zocken, wie während des Gesprächs mit Alice Weidel, zeigt uns, was heute als cool gilt. Es offenbart aber auch die offensichtliche Lüge.

Elon Musk organisiert offenbar sein ganzes Leben nach diesem Leistungsquotienten. Kapitaleinsatz auf der einen und Arbeitsteilung auf der anderen Seite treibt in seinem Fall das Let’s-Play-Format auf die Spitze. Hält sich Elon Musk eine Horde Gamer im Keller, die sich für ihn durch die Spielelandschaften leveln? Das Prinzip ist nicht neu. Typischerweise sitzen die Gamer in Bangladesch im Keller und verhökern ihre erspielten Waffen einzeln. Für dieses Kleinunternehmertum ist Musk zu reich.

Aus dieser Diskussion wollen wir unsere Lehre ziehen. Elon Musk, der Unternehmer, der den Kapitalismus durchgespielt hat, ist kein Betrüger, aber ein Lügner. Die Accounts sind seine, aber er bespielt sie nicht selbst.

GPT

Irgendwer anders spielt in seinem Namen. Wer genau, wissen wir nicht, das ist Sinn und Zweck des Arbeitsvertrags zwischen Musk und den Unbekannten. Hier geht es um Fame. Wenn es um Geld geht, ist die Sache viel leichter. Die Chefin von SpaceX heißt Gwynne Shotwell. Sie hat dort alle Zügel in der Hand. Sie führt das Tagesgeschäft und tüftelt die Geschäfte mit dem Staat und den Kunden aus. Sie arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren für SpaceX und führt das Unternehmen seit mehr als 15 Jahren. Bei Tesla sieht es ähnlich aus. Die Verantwortung ist breit verteilt. Elon Musk geht nicht morgens zur Arbeit und schraubt Räder an Karossen. Er lässt schrauben.

Soweit, so gut. Wir kannten die Namen nicht, aber wir sind nicht davon überrascht, dass es ist, wie es ist. Im Gespräch mit Tucker Carlson hatte sich Musk als Unternehmer verherrlicht, der sich nur notgedrungen in der Politik einmische, während er sich im Tagesgeschäft lieber mit Elektromotoren und Raketen befasse. Das allerdings ist wohl eine ebenso große Lüge wie sein Gamergate.

Marc Andreessen hat in einem Gespräch, das sich tiktokgerecht gut mit kitschiger Musik schauen lässt, Musks Management-Strategie erklärt. Er findet sie naturgemäß nachahmenswert cool, doch soziologisch steckt einiges in ihr, das Elon Musk nicht besonders schmeichelt.

Musks Unternehmen kommen demnach ganz gut ohne ihren CEO aus, bis irgendein größeres Problem gelöst werden muss. Wir kennen es vom ehemaligen Trigema-Chef Wolfgang Grupp, der nachts angerufen wird, weil niemand in der Belegschaft die Verantwortung für die Folgen der Entscheidung „rot oder blau?“ übernehmen möchte. Musk schwebt somit einmal die Woche im Headquarter ein und trifft diese eine Entscheidung. Danach zieht er weiter. In der Summe habe er dann pro Jahr 50 Entscheidungen getroffen. Andreessen meint, es ginge dabei um die schicksalbestimmenden Entscheidungen der Unternehmen.

Marc Andreessen

Wie sowas praktisch funktioniert, wissen wir ebenso aus Tiktok-Snippets, die uns immer die Essenz von allem zeigen wollen. Ich referiere ein Video, das sich später genauer betrachten lässt. Jeff Bezos‘ größtes Problem als Amazon-CEO war, in Meetings seinen Managern zu verklickern, dass sie ihre Wortbeiträge nicht für ihn auswendig lernen und durchspielen sollen. Er würde gerne an der Realität seines Unternehmens teilnehmen, um mitzuentscheiden, statt Beschlussvorlagen als Theaterstück serviert zu bekommen. In der Welt dieser Leute – die auch unsere ist – ist Simulation und Spiel nicht nur eine Metapher.


Alle Texte als Podcast (ki-gelesen) und demnächst REDAKTIONSSCHLUSS als kommentiertes Hörbuch (von mir gelesen) gibt es bei Steady.


3 Antworten

  1. Ein Spiel in dem man sich Waffeln erspielen kann klingt verlockend.

    1. okokok, korrigiert, thx

  2. Die Superreichen simulieren uns Zukunfstvisionen, aber spielen eigentlich nur mit dem Geld anderer.

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