Mittwoch, 26. September 2018, 14:08 Uhr
Was treibt denn nun die Gesellschaft auseinander? Sind es arme Protestwähler, die sich vom Staat im Stich gelassen fühlen, oder sind es Eigenheimbesitzer, die vor lauter Grübeln über ihr materielles Fortkommen die Welt vor ihrer Haustür übersehen? Die wissenschaftliche Literatur gibt mehrere Antworten zu den Fremdheitserfahrungen, aber eine klare Tendenz. Und die Politik? Sie investiert – je nach Deutung – in die Fliehkräfte, auch wenn sie es anders meinte.
Aus den Kommentaren gehe ich heute auf Texte der Autorinnen Thomas Lux, Steffen Mau; Holger Lengfeld, Clara Dilger; Cornelia Koppetsch und Byung-Chul Han ein. Herfried Münkler hören wir im Radio. (autom. erstellt. Transkript)
Hallo Stefan!
Zu den Diskussionen über Stress kann ich auch noch die Perspektive aus meinem Schulalltag beitragen. Dort gibt es drei Gruppen von Menschen im Stress. Zum einen die Gruppe der verbeamteten Lehrkräfte. Das sind Leute, wie ich, deren Biografie abgeschlossen ist, und bei denen es entweder Menschen gibt, die ihre Erfüllung in der Arbeit, also dem Unterrichten von jungen Menschen, finden oder denen, die sie im Aufstieg in der behördlichen Hierarchie suchen. Erstere sind entspannt, letztere sind meist die ganze Zeit unter Stress. Ich gehöre zu der Gruppe, die aufgrund falscher Startbedingungen nur den ersten Weg haben und es macht mich sehr glücklich. Es reicht vollkommen dem Wahnsinn, der da herrscht zuzusehen.
Die zweite Gruppe sind nicht-verbeamtete Lehrkräfte. Diese arbeiten genauso wie ich, nur werden prekär bezahlt, die ganze Zeit in beruflicher Unsicherheit gehalten und nicht einmal ein ganzes Jahr bezahlt. Die Botschaft hier ist auch: wenn du dich ausreichend bückst, bekommst du vielleicht die Karotte. Das passiert aber nicht. Die Biografien sind kaputt, weil die Menschen im Gegensatz zu mir zur falschen Zeit fertig geworden sind.
Die dritte Gruppe sind die Schülerinnen und Schüler. Diese, gerade in der FOS, rennen die ganze Zeit der biografischen Erfüllung hinterher, dabei haben sie als RealschülerInnen und MittelschülerInnen schon eine soziale Hypothek, bevor sie an unsere Schule kommen. Das führt zu sehr viel Stress, zu dem hohen Tempo, dass die Schule selbst als System hat. Ich halte seit mehreren Jahren Workshops zu Organisation, deren Fokus darauf liegen, Stress und Arbeitslast durch Planung zu managen. (Also, eigentlich neo-liberale Selbstoptimierung.) Unsere Erfahrung ist, dass die Menge an psychischen Störungen bei den jungen Menschen, die _dringend_ etwas erreichen wollen, besonders häufig auftreten.
Als anekdotische Evidenz dazu: eine Freundin erzählte mir von der Tochter einer Bekannten, die sich während der zwei Jahre Oberstufe in einer kleinen Wohnung weggeschlossen hat und nur Stress hatte. Die Tochter macht jetzt ein FÖJ auf einer Insel und möchte keinen Sozialkontakt mehr. Vollkommen verständlich, aber man kann da schön sehen, wie sehr die Leistungslogik und der Druck zur erfüllten Biografie zum einen soziale Gruppen aber auch Leute kaputt macht.
Hallo Thomas und Stefan,
ich kann die Schilderung nur bestätigen: meine Frau ist ebenfalls Lehrerin und du hast genau die von Thomas beschriebenen Fälle.
Interessant hierzu der letzte(?) Schulsprecher Podcast (http://schulsprecher-podcast.de/), der das auch sehr gut beschreibt.
In Bayern (ich weiß nicht wie es woanders aussieht) kommt das Konzept der „Mobilen Reserve“ hinzu. Dass LehrerInnen Mangelware sind und die Stellen „auf Naht“ berechnet werden hat Stefan ja schon öfter im Podcast genannt. Dieses Konzept besagt jetzt, dass Schulen Lehrer abstellen, die dann die Lücken an anderen Schulen stopfen müssen. Das geht so weit, dass LehrerIn morgens um 6:30 vom Schulamt angerufen wird, dass er/sie um 7:50 für 2 Stunden Unterricht im x km entfernten Ort, danach vielleicht noch den Rest des Tages in ort y hat. Natürlich ohne vorher irgendwie Schule/Schüler/sonstwas zu kennen, geschweige denn irgend eine Ahnung vom zu haltenden Unterricht zu haben.
Wir lernen jetzt die „andere Seite“ kennen. Unser Sohn wurde vor zwei Wochen eingeschult und es hielt sich wacker das Gerücht, dass zwei 1. Klassen gebildet werden, jeweils mit 27(?) SchülerInnen. Etwas geschickte Schülerstandsmeldungen ans Schulamt (Kinder, die an andere Schulen gehen wurden erst nach dem „Stichtag“ gemeldet) sorgten dann dafür, dass es doch drei Klassen mit je ca. 20 Kindern geworden sind.
Der „Stress“ beginnt trotzdem schon hier. Ich halte es knapp, da ich doch schon viel geschrieben habe – nur zwei Zitate der Lehrerin (seit rund 40 Jahren im Dienst):
– 1/2 geht noch, da soll es Spaß machen. Ab 3/4 beginnt aber schon
der Leistungsdruck mit Übertrittsnoten usw.
– Früher hatten die Kinder mehr „Leben“, jetzt haben sie wie Erwachsene einen „Vollzeitjob“: 4/5 Stunden Unterricht, dann irgendeine Form der Betreuung (z.B. Hort). Das „zu Hause“ fällt weg. Früher waren 3 Kinder der Klasse irgendwie betreut, weil alle Elternteile arbeiten (müssen), heute sind es 3, die Mittags nach Hause gehen.
Ein letzter Kommentar noch, um auf das Titelthema der Folge zu kommen: Ich lebe komplett gegen deine Beschreibung 🙂
Ich bin jetzt Mitte 30, mit Eigenheim, 3 Kindern, Vollzeitjob und ehrenamtlich unterwegs. Ich habe keine Lust auf die klassische „Karriereleiter“, aber Glück durch Abitur (eher „ungewöhnlich“, da beide Eltern Hauptschulabschluss) und ohne Studium einen Job (Ausbildung IT) gefunden zu haben, der gut bezahlt ist und es daher nicht nötig macht (aber durchaus ermöglichen würde) nach immer mehr zu streben. Die Zeit „investiere“ ich bewusst lieber in Freizeit und Familie, statt in die Karriere.
Ich denke diese mangelnde Not ist wie bei der Studentengeschichte im Podcast der entscheidende Punkt für Stress oder kein Stress. Um mit einem Beispiel aus meiner Lebenswelt abzuschließen: Ich kann problemlos früh um 5 Uhr 1-2 Stunden Laufen gehen, weil ich es gerne und freiwillig mache. Das ist einfach die Zeit, in der ich es unterbringe und Beruf und Familie trotzdem gerecht werden kann. Müsste ich das aus irgendeinem Grund tun (das Laufen an sich) wäre es natürlich ein enormer Stressfaktor das so in den Tag zu quetschen.
So, das wurde jetzt viel länger als gedacht, vielleicht hilft es dir ja trotzdem irgendwie weiter.
Schöne Grüße,
Sebastian
Die Mobile Reserve wurde bei den beruflichen Oberschulen wieder eingestellt, ist aber Standard an den Grundschulen. Die Beobachtungen zum Übertritt stimmen, wie auch die, dass da natürlich immer noch nach Sozialstatus selektiert wird.
PS: Danke für die Erwähnung der Schulsprecher. 😉
Hi Stefan,
ich kommentiere nochmal unter der alten Folge, quasi als Kommentar zu deinem Kommentar auf meinen Kommentar … verwirrend. Egal.
Vielleicht kam es im ersten Kommentar nicht raus, aber ich bin mir absolut der priviligierten Situation bewusst in der ich lebe(n darf) und glaube auch, dass das der Grund ist, warum ich das überhaupt alles so machen kann wie ich es will (vs. „wie ich es muss“, wenn die Situation eine andere wäre) und alles entsprechend auch gerne mache.
Du hast in der aktuellen Folge die Kategorien Angst vs keine Angst vor der (materiellen) Zukunft aufgemacht und ich glaube, dass das vor allem für die Zeit nach der Rentnerrepublik enorm gut zutrifft. Aktuell leben die „Volksparteien“ noch aus der Tradition heraus, geben sich aber größte Mühe ihre noch nicht weggestorbene Stammwählerschaft zu vergraulen. Die sPD schafft es ja seit Jahren, die csU nimmt auch rasant Fahrt auf – ich sage nur „Bavaria One“. Ich frage mich ernsthaft wie sie das ihrer Stammwählerschaft verkaufen wollen?!
Überspitzt formuliert wird sich zeigen, welche der Ängste gewinnen wird: die „materielle“: afd („Wir vs Die Anderen“), bzw. Links („Arm vs. Reich“ – wenn die Debatte endlich mal im Mainstream wirklich ankommt) oder die „ökologische“: Grüne.
Natürlich gibt es Schnittmengen, cdu/csu und spd werden versuchen alles irgendwie zu bedienen, ebenso die fdp, aber die groben Grenzen sind klar definiert.
….Überweisung kommt! 😉
Sebastian
Hallo Stefan,
angeregt durch den Beitrag von Markus zur Folge „Trost, oder Tabubruch?“möchte ich kurz darstellen, wie wir in unsrer Familie mit dem Themenkreis „Vermögen, Erben und Rentnerrepublik“ umgehen und welche Folgen das für mich persönlich hat.
Meine Großeltern sind kurz nach der Wende (etwa 1995) relativ zeitnah zueinander verstorben und haben ihren Kindern ein Haus und einiges an Bargeld vererbt. Das wurde dann wie üblich auf die drei Kinder verteilt. Nach heutigen Maßstäben so um die 150.000 Euro pro Nase.
Nach etwa 15 Jahren haben wir folgendes festgestellt: Ein Erbteil war vollständig verkonsumiert und in Schulden verwandelt, der zweite Erbteil war in einer Altersvorsorge geparkt und der dritte Erbteil wurde als Startinvestition in ein Ingenieurbüro und als Anzahlung für ein Eigenheim verwendet. Es bestand auch eine Art Sprachlosigkeit über den höchst unterschiedlichen Erfolg mit dem jeweiligen Erbe.
Aus dieser Erkenntnis haben wir uns als Familie dazu entschieden, dass niemand mehr Vermögen anhäuft. Praktisch gesprochen: Das Vermögen der einzelnen wurde in eine Gesellschaft übertragen, die in den Händen der Familie liegt. Jeder zahlt nach seinen Möglichkeiten ein und kann bei Bedarf unterstützt werden.
Mit der Zeit haben wir als Familie eine engere Bindung untereinander entwickelt, weil wir uns gemeinsam um das Vermögen kümmern. Konkret treffen wir uns einmal im Jahr an einem langen Wochenende mit allen Kindern und Partnern. Einen Tag lang geht es ums Geschäft, den Rest der Zeit tauschen wir uns über unsre Interessen etc. aus. Die Gespräche sind auch anders geworden: Interessierter und weniger selbstdarstellend.
An mir selbst habe ich einige interessante Veränderungen festgestellt:
Es gibt keine existenzielle Angst und ich denke mehr in Möglichkeiten bzw. entlang meiner Interessen. Bspw. gehen meine Kinder auf eine Privatschule, die wir uns ansonsten nur unter einschränkenden Bedingungen hätten leisten können. Seit einem Jahr arbeite ich in Teilzeit und verbringe die gewonnene Freizeit mit meiner Kernfamilie. Ähnliches gilt für den Aufstiegsdruck: Ich kann, muss aber nicht.
Andererseits ist da auch die Verantwortung, die durch ein gemeinsam verwaltetes Vermögen entsteht: Jede Entscheidung betrifft nicht nur einen selbst, sondern X andere (auch in zukünftigen Generationen), denen man ja grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten zubilligt.
In einem sonderbaren Sinn, sind wir als Großfamilie positiv in der Rentnerrepublik angekommen (Man kümmert sich ums Erbe) ohne die schlechten Begleiterscheinungen (Einsamkeit, Erfolgsdruck, …) mitzuschleppen.
Soviel für den Augenblick.
Herzliche Grüße,
Frank
Hallo, Stefan
Dein Projekt mit dem Buch zur Rentnerpolitik finde ich sehr interessant. Da ich schon geraume Zeit dem Aufwachen-Podcast folge, habe ich sofort „angebissen“, als du das Talk Radio veröffentlicht hast. Enttäuscht und frustriert wegen der politischen Entwicklung in Deutschland während der Merkel-Regierung, und da ich mit 56 auch bald Teil der Rentnerrepublik sein werde, habe ich mir auch schon viele Gedanken gemacht.
Wenn du sagst, dass in den USA vor den letzten Präsidentschaftswahlen gerade die Alten besonders politisiert worden sind, und wenn es stimmt, dass die Jugend durch Streß, Zwang und prekäre Arbeitsverhältnisse keine Zeit/kein Interesse an politischer Teilhabe mehr entwickeln können; wenn es richtig ist, dass die junge Generation, als Erbe ihrer Eltern, und weil sie sich mit diesen „zu gut verstehen“, nicht mehr als treibende Kraft der gesellschaftlichen Weiterentwicklung aktiv werden, dann können ja auch nur noch die Alten laut werden. Und die hätten auch viele Gründe dafür, nicht zuletzt die zu erwartende Altersarmut, die immer mehr Leute treffen wird.
Seit einigen Wochen denke ich immer mehr darüber nach, ob „Rentnerrepublik“ ein passender Begriff ist für die sich abzeichnende Entwicklung der nächsten Jahrzehnte, bzw. ob man ihn eventuell erweitern müsste: Auch wenn die Rentner einen Großteil der Bevölkerung stellen, worauf ihr im Podcast immer wieder hingewiesen habt, so wird doch von der Regierung (Bundes- oder Länderregierung ist hier gleichgültig) doch keine Politik betrieben, die den Alten nützen würde, sonst würden nicht ständig mehr in die Armut abrutschen. Die Alten werden enteignet, durch Doppelbesteuerung von Altersbezügen, aus ihren Wohnungen vertrieben von Mietspekulanten usw. Und die Jungen werden in der Mühle von möglichst schneller Verfügbarkeit als preiswerte Arbeitskräfte, Erfolgsdruck, schlechter Bezahlung in Zeitverträgen und der Unmöglichkeit, eine Familie zu gründen, zerrieben.
Ich glaube daher, dass es in den kommenden Jahrzehnten nicht so sehr eine Auseinandersetzung zwischen Rentnern und Jungen geben wird, sondern dass sich der Krieg von Reichen/Eliten gegen die Armen, zu denen bereits mindestens schon der untere Mittelstand gehört, immer mehr verschärfen wird. Und die Initiative, sich gegen die oberen Kasten aufzulehnen, wird, wie uns Chemnitz gezeigt hat, wahrscheinlich von den Alten ausgehen, den heute Vierzig-, Fünfzigjährigen, die schon heute einsehen müssen, dass sie den Wohlstand ihrer Eltern niemals erreichen, und, wenn sie aus dem Arbeitsleben ausgeschieden werden, auf Sozialhilfe angewiesen sein werden.
Liebe Grüße
RE: (Wohn)Eigentum und Gesellschaft
Um mal das weiter (den Kabelsalat) aus zu differenzieren.
1. Politisch gesponserte grossinvestitionen in privaten Wohneigentum ist fuer die Gesamtwirtschaft schaedlich ueber laengere Sicht, da Kapitalinvestionen aus mehr risikoinvestionen (Jobs, Innovation, „Wettbewerbsfaehigkeit“) abgefuehrt wird, weil wenn eine Geschaeftsinvestition nicht klappt, bekommt die Bank nicht viel wieder, dass Haus steht aber noch. Auch bekannt als Rentier (franzoesich gesprochen) Kapitalismus. Bestes Beispiel UK. Unter Tatcher und post-Tatcher, dort hat sich das heimatliche Bankenwesen von lokalen Unternehmen fast Komplett abgewendet[1]. Anderes Beispiel USA, dort hatte unter anderm Bush ja mehr Wohneigentum GEFORDERT und die Banken vergaben auch mehr Geld (boni) fuer sub-prime als fuer „sichere“ mortages, weil ja ein neuer Markt erschlossen werden musste, und man mehr Marktanteil haben muss als der andere. tl;dr Ist also nicht gut fuer die Produktivaet und Productivitaetssteigerung („Wettbewerbsfaehigkeit“) eines Landes, weil, ein Hause, eine Wohnung ist unproduktiv. Eigentlich noch schlimmer, weil die Instandhaltung auch kostet, und das Haus eignetlich nach 50 Jahren abgeschrieben werden kann. Selbst Peter Schiff sagt: ‚Ein Haus ist zum Wohnen. Ein Haus kann nie eine Rente noch vermoegende Investition sein, weil nicht liquide und nicht Wertschoepfend … wie ein Unternehmen mit Arbeitern.‘
2. Wohneigentum kann dann auch weiter genutzt werden als familaere Sozialkasse (social safety net) und macht sich so unabehaenging von Austeritaet.
3. Weiterhin kann Wohneigentum als social mobility ladder-aid genutzt werden fuer die Kinder; einfach einen neuen Kredit aufnehmen auf das Haus um das Kind auf die Privatschule zu schicken.
4. Weiterhin kann existierender Wohneigentum „re-mortaged“ werden um mehr Wohneigentum zu kaufen und dann zu vermieten „Buy-To-Let.“ Und so weiter. Siehe UK. Da wurde „Buy-To-Let“ von der Regierung gesponsert, und nun heisst es „Generation Rent“ fuer alle anderen.
4. „Stadtrand.“ Oder auch IMHO self-enforced Segregation des Mittelstandsbauch. Stefan nennt da den „Stadtrand“ vs Fussball Trainer im Jugendklub oder Elternvertretung.
Dieses Phaenomen wurde von Richard Reeves mit dem Beispiel USA im Buch „Dream Hoarders“ aufgezeigt.[2]
Und dann reden wir noch nicht einmal ueber den Ton den diese ‚Dream Hoarders‘ anschalgen und den hohn haben sich zu beschweren das Einwadererkommunities sich in einem anderen Vietel wieder finden. Dies kam auch immer wieder auf in UK’s Brexit Debatte. btw UK ist international bekannt fuer seine „postcode lottery.“ Was auch in Dream Hoarders vorkommt.[3]
5. Mark Blyth zum Wohneigentum: ‚Du kannst mittlerweile mehr Geld verdienen mit Eigentum als mit ehrlicher Arbeit. Und du musst dann nicht mal Steuern drauf zahlen. Bloed nur das das Wohnhaus in den Hamptons keine gute defensive Position ist, wenn die Lichter aus gehen und die anderen die Haeuser abbrennen, und die Polizei und Feuerwehr nicht da ist, weil sie niemand mehr bezahlt hat.‘
Ich konnte jetzt auf die schnelle nicht den O-Ton finden in einen seiner many talks auf YouTube oder Google. Aber YouTube Search hat mir diesen guten Beitrag rausgespuckt wo er erklaert die Symbiose zwischen Kapitalismus und Government.[4] Das eine gibt es nicht mit dem anderen.
Da gibt es auch einen lateinamerikanischen Oekonomen (Hernando de Soto Polar)[5] der das als Hauptargument nennt, wieso manchen Enwicklungslaender immer noch so weit unterentwickelt sind und nicht gefuehlt in die Gaenge kommen seit den letzen 30 Jahren. Es ist nicht weil die duemmer sind (IQ Debatte der Rechten in USA[6]), sondern weil dort ‚Die Regierung‘ und ‚Der Rechtsstaat‘ und ‚Die Justiz‘ wie wir sie im Westen kennen, nicht existiert oder Unterenwickelt ist. Oder jedenfalls nicht an die Standards ran kommt wie man es im Westen erwartet (siehe Korruption in BRIC Staaten). So muss der europaeische Marshal Plan fuer „Afrika“ auch da anknuepfen.
Schnapps-Idee: Neue RTL Reality Sendung „Deutsche Anwaelte in Afrika.“
[1] BBC Radio4 Beitrag zu UK’s QE; „Magic Money Tree“ https://aufwachen-podcast.de/kommentare/index.php?thread/817-%C3%B6konomie-meta-only-sammelthread/&postID=31672#post31672 Weiterhin hat auch Richard Andreas Werner in UK stark geworben fuer ein mehr-deutsches Bankenwesen in UK zb https://www.youtube.com/watch?v=LQOeVnGqtuY
[2] PBS: How the upper middle class keeps everyone else out – https://www.youtube.com/watch?v=QPnxOOeY1Kg
[3] https://aufwachen-podcast.de/kommentare/index.php?thread/982-a-247-facebook-t-rubel/&postID=23716&highlight=postcode#post23716 & https://aufwachen-podcast.de/kommentare/index.php?thread/371-brexit-sammel-thread/&postID=12856&highlight=postcode#post12856
[4] https://www.youtube.com/watch?v=ISNi0g7SFXo
[5] Property rights for world’s poor could unlock trillions in ‚dead capital‘: economist […] “There is no such thing as an investment without property rights that are negotiable and transferable,” – https://www.reuters.com/article/us-global-landrights-desoto/property-rights-for-worlds-poor-could-unlock-trillions-in-dead-capital-economist-idUSKCN10C1C1
[6] Im Jordan Peterson Sammelthread und https://www.theguardian.com/news/2018/mar/02/the-unwelcome-revival-of-race-science
RE: Anekdotisches/Autobiographisches Sozialpolitisches Lieblingsbuch
Zum Thema Trump & „fly over“ Amerika gefiel mir sehr Hillbilly Elegy von J. D. Vance. Hab ich so nebenbei durchgehoert, nicht gelesen.
Und zum Thema Feminismus/UK Gesellschaft/Klassensystem: How to be a Woman von Caitlin Moran. UK Bestseller.
Nachtrag, RE: Eigentum & Dream Hoarders & Anekdoten
James O’Brien[1] hat ueber seine eigene Erfahrung von ‚dream hoarding‘ gespochen; wie sein Adoptivvater ihn auf die Privatschule geschickt hat (7:35) und wieso, und was das fuer ein Unterschied war was danach kam (Klassensystem UK, Manchaster Youth Theater) (19:55), und wieso er das bester fuer seine eigenen Kinder will, und wieso das nicht Kontrovers ist.(13:12)[2]
Und er spricht auch an (unwissentlich) Byung-Chul Han’s Psychopolitik, Kapitel 1, Master-Slave Verhaeltnis und der Transfer von allem Risiko auf das Individum/dem Arbeiter alleine, und die die das wirkliche Geld verdienen sind die Betreiber/das Management der Platformkapitalimus Apps (58:05).
btw James O’Brien ist kein Jeremy Corbyn Befuerworter. Mehr die Richtung ‚third way’/Blair.[3]
[1] https://www.buzzfeed.com/matthewchampion/james-obrien-the-man-who-made-radio-viral
[2] James O’Brien on Nigel Farage, feminism and Brexit | Unfiltered with James O’Brien #50 – https://www.youtube.com/watch?v=GHNGlKnnm44
[3] https://www.youtube.com/results?search_query=james+obrien+jeremy+corbyn+criticism
Liebesgruß-Stefan,
hier mal weitere vielleicht anregende Beobachtungen eines weiteren bloßen Beobachters.
Diese von Dir umschriebene Entkopplung von Mitbürgern, die ihr „Mit“ im Grund ausklammern und sich derart als Ohnebürger inszenieren find ich ganz lustig. In Wiesbaden und Saarbrücken lebend fällt mir im Kontrast zu Saarbrücken hier insbesondere der Tenor des hastig rücksichtslos daherkommenden Menschen in seinen SUV-Boliden auf, der neben abfälligen Blicken, Gesten und Mimiken (in Supermarkt, aus dem Auto, am Stadtpark) auch in seinem Habitus ein scheinbarer Impertinenz-Sammler gegenüber dem ihm selbst Fremdgewordenen. Das können dann zahlreiche x-beliebige Subjekte (Obdachlose, Mirgationsvordergründige, Alte oder liderlich daherlaufende) und Objekte (atmosphärisch unaufgeladene PKWs, Street Art, unordentliche Grünanlagen, kokette Inszenierungen, wie im Zuge der Biennale installierte Rewe im Staatstheater Wiesbaden) sein. Die sind das Fremde gehüllt in Lokalkolorit, die es trotz dessen nicht heimisch werden lassen, sondern umgekehrt ins Abscheuliche stilisieren, da es um Gottes Willen so nah in den eigenen Lebensraum eingedrungen und auch haptisch, optisch oder interaktionsbezogen scheinbar parasitäre Züge angenommen hat. Bemerkbar machen sich solche abwertenden Wahrnehmungen allerdings auch in ständigem Gehupe, mitternächtlichem Aufdröhnenlassen AMG-verschmitzter Stahlboliden und einem bei fünf Menschen langem Schlangenmonster ungeduldig rufendem Kassenaufmachgenörgel, welche mir in den Zeiten, in denen ich mal Kopfhörerlos durch die Stadt schlendere ebenso verdutzt zurücklässt, wie scheinbar die von mir Beschriebenen.
Kompensationsangebote
Im Zusammenhang dieser von Dir sehr malerisch herausgesprochenen Rentnerpolitik erlebe ich allerdings auch immer wieder – jedoch in dieselbe Kerbe schlagende – Möglichkeiten, dieser gespürten Veränderung Einhalt zu gebieten. An mir selbst erlebt: Die Meditation. Mit oder in dieser erlebt man das Äußere zwar als fremd, tränkt sein Inneres jedoch in selbes Wasser und nimmt sich als nunmehr bloßen Beobachter wahr, der – ganz der Luhmann – beobachtet, was er da alles befremdliches beobachtet. Und da gesellen sich neben den unheilstiftenden Risiko-Artefakten der globalisierten, postmodernen Unübersichtlichkeit nunmehr auch ebenso verheißungsvolle Emotionen und Gedanken, die nichts anderes im „Sinn“ haben.
An mir selbst habe ich so den Umgang mit Fremdheit – da letztlich alles mir nun in gewisser Weise „fremd“ geworden ist – praktisch erlernt und kann ihr – natürlich auch nebenher langjährig soziologisch/pädagogisch/psychologisch intellektuell reflektiert – entspannt gegenüberstehen, da ich sie nurmehr wahrnehme und neugierig als interessant beschreibe.
Wie dem auch sei. Dank Dir herzlich für Deine beständige intellektuelle Widerborstigkeit, die dir bei mir den Ruf als charmanten Süffisanz-Flegel der intellektuellen Extraklasse eingebracht hat. Was immer das auch heißen mag.
Mach bitte sehr lange in genau der Form weiter so. Wir lieben es 😊
Besten Dank für alles und nach meinem Referendariat als promovierter Quereinsteiger gibt’s auch regelmäßig finanzielle Unterstützung von mir als Dauerauftrag (ist übrigens im kommenden Jahr).
Quasi nachbarschaftliche Grüße aus Wiesbaden
Timo
Moin Stefan,
die Schönheit eines Gedankens korreliert selten mit dessen Eindeutigkeit, insofern finde ich Eigentum vs. Engagement elegant aber uneindeutig. Ich habe den Eindruck, dass es mit dem Eigentum noch etwas anderes auf sich hat. Seine Wirkung könnte sich noch aus einem anderen Grund entfalten, als dass Eigentümer*innen nun zu Hause sitzen, den Rasen gießen und keine Fremdheitserfahrung mehr machen. Stattdessen muss man vielleicht zwischen zwei Arten von Eigentümer*innen unterscheiden.
Es gibt jene in der konservativen oberen Mittelschicht, die Ihr Wohneigentum geerbt haben. Das dürften nicht wenige sein, denn das meiste Wohneigentum erben jene, die ohnehin schon in einer sicheren Wohlstandslage sind. Die dürften dann nicht unbedingt aus mangelnder Fremdheitserfahrung mit der AFD sympathisieren, denn sie jetten sicherlich oft genug als „Kosmopolit*innen“ durch die Welt. Stattdessen können sie sehr klar darauf spekulieren, dass die AFD bestehende Hierarchien festschreiben will (zwischen Männern und Frauen, zwischen „Einheimischen“ und „Ausländer*innen“ und zwischen „Oben und Unten“), was natürlich in ihrem Interesse ist.
Andererseits gibt es aber auch jene, die sich ihren Aufstieg hart und entbehrungsreich erarbeiten müssen. Solche Menschen können oft nicht „Halt“ machen und arbeiten immer weiter, weil sie Sorge darum haben, sie könnten das erreichte wieder verlieren oder ihre Kinder könnten absteigen. Diese Personen haben dann auch gar keine Zeit, den Rasen zu wässern, sondern sind entweder im Büro oder schlafen, was allerdings auch Fremdheitserfahrungen unwahrscheinlich macht. Ihre Sympathie für die AFD dürfte aber dem Gefühl entspringen, dass ihr stark ausgeprägter „Leistungsethos“ verletzt wird: Sie mussten sich alles selbst erarbeiten und nun „kommen die Flüchtlinge und bekommen alles geschenkt“ (was ja eine der Botschaften ist, die die AFD so verbissen sendet).
Abgesehen davon, war mir aber in der letzten Folge schon nicht ganz klar, wie du das Ganze nun an die „Rentnerrepublik“ bzw. an die Demographie zurückbinden willst. In der ganzen Diskussion geht es ja wie in dem Lengfeld-Artikel ganz explizit gemacht darum, ökonomische und kulturelle Erklärungen zu suchen. Dass es in der Gesellschaft nun immer mehr alte Menschen gibt hat damit ja erst mal nichts zu tun. Man kann ja sagen: „Alle werden immer gestresster, immer unemphatischer, immer mehr mit sich beschäftigt, können immer weniger streiten und können immer weniger von ihrer Arbeit leben.“ Aber diese Entwicklung hat mit dem Alter oder der Demographie ja erstmal nichts zu tun und könnte in ‚jungen‘ Gesellschaften ja genauso passieren, oder?
Starke Folge! Bin gespannt wie es weitergeht.
Stefan
Was ich gut fand zum Thema Verweben von biographischen Erzählungen und Theorie: Arlie Hochschild (2016): Strangers in Their Own Land: Anger and Mourning on the American Right.
Hi Stefan!
Ich verfolge dein Buch- und Podcastprojekt mit Spannung und wollte dir nur schnell einen Link mit einer neuen und ziemlichen schönen europäischen Übersichtskarte zur Altersverteilung in Europa schicken:
https://www.thelancet.com/pdfs/journals/lancet/PIIS0140-6736(18)31194-2.pdf
Falls der Link nicht geht wg. Paywall sag Bescheid und ich schicke dir die PDF. Deutschland wird da nur kurz erwähnt mit der Verlinkung auf ein ca. 8 Jahre altes Paper, dass sich mit (Binnen-)Migration in Ost-/Westdeutschland beschäftigt. Diese Karte ist scheinbar teil einer Doktorarbeit und via MIT-Lizenz frei zugänglich und durch GitHub-Code reproduzier-/ und nutzbar.
GitHub-Repository:
https://github.com/ikashnitsky/the-lancet-2018
Entsprechendes neueres Paper, dass noch über GitHub verlinkt wird:
http://genus.springeropen.com/articles/10.1186/s41118-017-0018-2
Vielleicht ist davon ja etwas von Interesse für dich.
Viele Grüße
Carl
Aha, na jetzt geht es aber in eine interessante Richtung… Na klar, wenn man sich mit Anfang 30 an einen Kredit kettet, der einen die nächsten 25- 30 Jahre drückt… hat man u.a. keine Zeit mehr für etwas Anderes und der psychische Druck, „erfolgreich“ im Job zu sein, ist enorm. Manchmal denke ich, dass ist gewollt im neoliberalen System, weil es marktkonformes Denken und Handeln fördert…
Beim Lesen der Hörerkommentare kam mir der Gedanke, dass die Generationen möglicherweise der Druck eint, unter dem sie offensichtlich stehen. Die Alten stehen unter dem Druck das (materiell)“Erreichte“ zu halten und die Jungen stehen unter dem Druck (materiell) „etwas zu erreichen“…
Wieder meine Omi: „Frei bist du, wenn du entweder soviel hast, dass es egal ist wieviel sie dir wegnehmen oder wenn du so arm bist, dass sie dir nichts wegnehmen können.“
Beim Hören kam mir noch ein Gedanke: Zeit für Weitergabe von Bildung und allgemein Werten innerhalb der Familie.
(Stichwort Wohstandsverwahrlosung)
Ich habe eine Freundin, die stammt aus einem sogenannten Akademikerhaushalt. Deren Eltern haben fast 10 Jahre an ihrem Haus gebaut (Mitte der 80ger bis Anfang 90ger hat man noch fast alles selbst gemacht). Das hieß jedes Wochenende, für sie gefühlt ihre ganze Kindheit und Jugend, auf die Baustelle der Eltern und dort ihren kleinen Bruder „hüten“.
Während meine „armen“ Arbeiter- Eltern mit mir in der Freizeit z.B. wandern gingen, an einen See radelten, bei schlechtem Wetter ging man in Museen/ Ausstellungen, machte Ausflüge an interessante Orte, alle paar Wochen gab es einen riesen Stapel Bücher aus der Stadtbibliothek und wenn der Vater zu müde war, nahm mich die Mutter mit ins Theater(abo)…
Die Freundin mit dem ElternHaus bedauert noch heute oft im Gespräch, wie wenig sie in ihrer Kindheit „mitbekommen“ hat…
Abgesehen davon, dass sie und ihr Bruder heute die Finanzierung dieses Hauses „an der Backe“ haben, da ihre Eltern im Laufe der Jahre „aus Gründen“ darauf noch mal einen Kredit aufgenommen haben.
Die Eltern sind heute Mitte/ Ende 70, können und wollen das Haus nicht „loslassen“, die Kinder sind an dieses Haus „gefesselt“ und damit wiederum auch an ihre Jobs, mit denen sie das Alles finanzieren müssen. Eigendlich warten alle Beteiligten nur darauf, dass die Eltern nicht mehr können, aus gesundheitlichen Gründen das Haus verlassen, der ganze Scheiß verkauft werden kann und Alle von der Schuldenlast befreit sind… Ob das jetzt sinnvoll war?
Da meine ich mit meinen „armen“ Eltern mehr Glück gehabt zu haben. Zumindest habe ich von ihnen gelernt, mir auch ohne oder mit wenig Geld das Leben zu gestalten. (Natur, Kunst/ Kultur, Lesen, Wertschätzung,.. ganz viele praktische Dinge – Kuchenbacken;))
Zum Thema Bücher die mit anekdotischen Beispielen arbeiten, möchte ich empfehlen:
Dietmar Süß, „Die deutsche Gesellschaft im dritten Reich“
Ist zwar Zeitgeschichte aber, glaube ich, diese Prinzip ist gemeint.
In den einzelnen Kapiteln wird jeweils ein Bereich der Gesellschaft vorgestellt (so grob Arbeit, Freizeit, Politik u.a.), der Bereich wird allgemein beschrieben, Statistiken werden genannt, historische Forschungen werden zitiert und dann werden persönliche Erzählungen (z.B. aus Tagebüchern, Briefen, überlieferte Geschichten) von ganz durchschnittlichen Menschen angeführt. Das Ergebniss ist ein faktenreiches Buch, dass sich spannend wie ein Roman liest und gleichzeitig ein emotionales Eintauchen in die beschriebene Zeit ermöglicht.
2. Band einer 7teiligen Reihe von C.H.Beck „Die Deutschen und der Nationalsozialismus“ Softcover, 18,- €
(gibts auch in jeder guten Stadtbibiothek ;))
Aus dem Klappentext: „… Virtuos verwebt Süß die konkreten Schicksale einzelner Menschen mit einer klaren Analyse und beschreibt, wie das NS- Regime das Leben der Deutschen von Grund auf veränderte.“
http://www.beck-shop.de/fachbuch/leseprobe/14692391_Leseprobe_S%C3%BC%C3%9F.pdf
Liebesgrüße aus Thüringen, Kerstin 🙂
Hi Stefan,
nur eine kurze Annotation zum angerissenen Thema Freiheit und Depression. Es ist in diesem Zusammenhang sicherlich interessant, sich ueber die Differenz negative und positive Freiheit hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Auswirkungen Gedanken zu machen. Den meines Erachtens idealen Zitataufschlag liefert dafuer Georg Simmel in der Philosophie des Geldes (1900):
„Allerdings war es Freiheit, was er [hier: der Bauer] gewann; aber nur Freiheit von etwas, nicht Freiheit zu etwas; allerdings scheinbar Freiheit zu allem – weil sie eben bloß negativ war -, tatsächlich aber eben deshalb ohne jede Direktive, ohne jeden bestimmten und bestimmenden Inhalt und deshalb zu jener Leerheit und Haltlosigkeit disponierend, die jedem zufälligen, launenhaften,
verführerischen Impuls Ausbreitung ohne Widerstand gestattete – entsprechend dem Schicksal des ungefestigten Menschen, der seine Götter dahingegeben hat und dessen so gewonnene ‘Freiheit’ nur den Raum gibt, jeden beliebigen Augenblickswert zum Götzen aufwachsen zu lassen.“ Eine Frage, die damit verbunden ist, ist also: was geschieht, wenn plötzlich positive Freiheit einsetzt. Diese Frage ist auch schon mit Deinem Rekurs auf Bjun Chul Han angerissen worden. Ich kenne zwar seine genaue Ausformulierung von Neuromacht nicht, so wie Du sie aber beschrieben hast, mutet es vor allem so an, dass das Problem des Menschen vor allem er selber sei bzw. der Mensch sich selbst permanent verschuldet vor dem, was er eigentlich von sich erwartet zu sein. Er kann also sich selbst im Rahmen der Optimierungslogik nie genuegen und gerät dadurch in einen negativen Kreislauf, immer schon zu wenig zu sein. Diese Beobachtung findet sich uebrigens auch schon bei Foucault oder Deleuze (Postskriptum…), wenn sie den Uebergang von Disziplinar- zu Kontrollmacht beschreiben. Das Panoptikum wandert bildlich in uns selbst hinein. Einen m.E. nicht unwichtigen Anteil hat dabei im Rahmen der Individualisierungsdebatte (U. Beck: Risikogesellschaft) auch der stete Rueckzug starker Institutionen und Richtwerte. Bspw. der Kirche als Institution, die zumindest eine mögliche Deutung eines Sinns fuer das Leben vor dem Hintergrund der Sterblichkeit aufzeigt. Auch Simmel deutet das ja schon an, in dem er der positiven Freiheit zuweist, sie wuerde dazu neigen, dass die Frage nach dem funktionalen Äquivalent fuer diese Weltdeutung offen ist. Diese These und dieser Zusammenhang des Rueckzugs starker Institutionen meine ich auch in Deinem Argument bzw. Deiner Arbeitshypothese erkannt zu haben, wonach der Staat/die Regierung auf private Investoren im Immobilienbereich setzt, um sich selbst zu entlasten.
Die Frage ist jetzt, wozu fuehrt aber diese positive Freiheit und die Abgabe institutioneller Aufgaben im individuellen Fall.
Dazu zwei Hinweise:
(1) Alain Ehrenberg hat bspw. in seiner Monographie „Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart“ die aus meiner Sicht plausible These vorgelegt, die auch schon hier im Podcast vorkam, dass das Ergebnis positiver Freiheit im Exkremfall Depression sein kann. Er stellt in seinem Buch die Kuenstlerkrankheit der Melancholie, die um 1800 verbreitet war, die Depression von heute entgegen. Der Unterschied ist, dass die Melancholie ein Leiden an einer Disziplinarmacht/negativer Freiheit ist, also mit der Frage verknuepft: „Was darf ich?“ bzw. „Was darf ich nicht?“. Die Depression wiederum ist ein Leiden an der positiven Freiheit, der Freiheit zu scheinbar allem, deren Erwartungs/Enttäuschungs-Abgleich nur in uns selbst stattfindet. Die damit verbundene Frage ist dann „Was kann ich?“ bzw. „Was kann ich eigentlich alles noch nicht?“
Mit dieser Logik kann man dann auch wieder in die Beschleunigungsdebatten (Rosa und co.) einsteigen, die, wie auch Deleuze, die Implikation der permanenten Schuld/Verschuldung haben. Da wir nie das alles schaffen können, was wir eigentlich wollen, sind wir permanent verschuldet, was zu einer Entfremdung von sich selbst und der umgebenden Gesellschaft fuehrt (durch etwa die permanente Selbstbespiegelung). Entfremdung ist ja per definitionem (zumindest als Weiterfuerhung der klassischen Theorie durch Rahel Jaeggi) fehlschlagende Selbst- und Weltaneignung (was in einem direkten Wechselverhältnis steht). Meines Erachtens fuehrt dieses Problem auch immer stärker zu mangelndem politischen Engagement, da das Hauptproblem, natuerlich, ein Identitätsproblem ist, das aber kaum noch von Institutionen aufgefangen wird. Das fuehrt dann klassischerweise, das ist jetzt alles sehr verkuerzt, entweder dazu, dass man sich einer Gruppe anheimgibt, die einen vermeintlich aufnimmt und (einfache) Lösungen fuer die komplexen Probleme vorschlägt, oder dazu, dass man permanent nur dem eigenen Leben/der eigenen Individualität. Passend zum Brechtschen Bonmot aus der Dreigroschenoper: „Du rennst und das Glueck rennt hinterher.“ [Bemerkung am Rande: Interessant ist doch auch, das nur am Rande, wie sich die Entwicklung des öffentlich auftretenden Intelektuellen entwickelt hat. Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts waren das doch eher (Sozial)Philosophen und Soziologen, jetzt sind es Psychologen / Neurowissenschaftler. Spontan fuehlt sich das erstmal auch nach einer öffentlichen Verschiebung von der Gemeinschaft/Gesellschaft zum Einzelnen an]
(2) Die Frage beim Rueckgang von Institutionen ist ja, wer oder was das funktionale Äquivalent fuer die Beantwortung der Frage wird, die die Institution komplexitätsreduzierend beantwortet hat. Karin Knorr-Cetina hat in einem Aufsatz („Postsoziale Beziehungen: Theorie der Gesellschaft in einem postsozialen Kontext“) ganz interessante Hinweise gegeben, die auch mit der Frage nach Identitätskonstruktion und Mediennutzung zusammenhängen. Lässt sich gut mal lesen; ist auch nicht so lang.
Dazu noch etwas gefuehlte Empirie. Mein Freundeskreis, den ich Grossteils beim Studium kennengelernt habe, sind sehr viele gute Denker – zumindest geistes- und sozialwissenschaftlicher Art. Alle Mitte 20 bis Mitte 30. Wir reden häufig und viel ueber Missstände in der Gesellschaft und darueber, dass mal etwas gemacht werden muesste, dass man sich mal engagieren muesste, eventuell sogar selbst eine Initiative/ein Verein/etc. gegruendet werden muesste. Faktisch ist es aber so, dass am Ende des Tages doch alle primär damit beschäftigt sind, ob notwendigerweise oder nicht – da gibt es in unserem Fall keinen Unterschied hinsichtlich des Effekts –, ihrer eigenen Individualität nachzugehen. Und zwar auf zwei Weisen: 1. denken alle erstmal an ihren finanziellen Outcome. 2. besteht zwar Einigkeit darueber mal etwas machen muessen, letztlich will dann aber doch jeder auch nur bei solchen Aktionen mitmachen, die ihm*ihr was bringen, also das eigene Interesse widerspiegeln; letztlich dann auch mit der Frage: bringt mir das was. Ich wuerde mir manchmal wuenschen bzw. das fehlt mir, dass Menschen vor dem Hintergrund des Wunsches nach politischer Veränderung auch mal auf Individualinteressen verzichten bzw. diese hintenanstellen. Irgendwann kommt dann schon die Zeit, dass auch diese dran sind. So jedenfalls verpassen die ganzen „schlauen“ Menschen um mich rum nur, aktiv zu werden (mich selbst eingeschlossen).
Das war’s erstmal fuer heute. Entschuldige die Länge – vielleicht kannst Du ja was rausziehen.
Viele Gruesse,
Malte
Gehört vielleicht nicht so direkt hierher, weil aber soviel über Wohneigentum gesprochen wird:
Es gibt auch in D alternative Formen von gemeinschaftlichem Wohnen und dessen Finanzierung. Eine Möglichkeit ist das Kaufen/ Bauen mit dem „Mietshäuser Syndikat“
https://de.wikipedia.org/wiki/Mietsh%C3%A4user_Syndikat
Explizites Ziel des Syndikats ist es, gemeinenschaftlich genutzten Wohnraum dem (Spekulations)Markt zu entziehen und in den Objekten bezahlbares Wohnen/ Arbeiten auf Lebenzeit zu gewährleisten.
In meiner Stadt gibt es bisher 1 auf diese Art finanziertes Projekt und in Erfurt gibt es (mindestens) 3 solche Mehrfamilienhäuser…
Sie haben auf ihrer Seite eine List aller (Mitglieds)Häuser und freuen sich über Besuch und/oder Erfahrungsaustausch…
https://www.syndikat.org/de/standortkarte/
… da würden dann Eigentum und Engagemant zusammenkommen… 😉
Hallo Stefan,
auf Empfehlung von Max vom Rasenfunk höre ich den Podcast ‚The History of Rome‘. Als ich in der letzten Woche die Folge 28 gehört habe fielen mir die Parallelen zu dieser Folge des Talk Radios bezüglich des Zurückziehens aus der politischen Sphäre in Verbindung mit persönlichen Wohlstand auf. Ich weiß nicht inwieweit das vergleichbar ist. Hier jedenfalls mal der Link zur Folge:
http://thehistoryofrome.com/episodes/28/
Danke für die Möglichkeit zur Teilhabe an der Entstehung des Buches!
Liebesgrüße
Matthias
Hallo Stefan,
ich (27) möchte versuchen, der Diskussion um den biographischen Stress der jungen Generation neben den von Dir und den anderen Zuhörern zu Recht benannten Problemen auch mal eine positive Wendung zu geben.
Meiner Ansicht nach ist es sehr erbaulich, dass die Jungen berechtigterweise auf eine bessere Zukunft hoffen und sich dafür anstrengen. Denn niemand würde seine Jugend für den beschriebenen Selbstoptimierungsstress aufopfern, wenn er nicht hofft, dass es sich eines Tages auszahlt.
Ich meine mit Auszahlen nicht nur Geld und Ansehen. Ich gehöre zu der Generation, die in ihrer Kindheit und Jugend vielleicht am stärksten von ihren Großeltern geprägt ist. Manuela Schwesig würde jetzt sagen: „Ohne Oma geht nichts!“. Den meisten Älteren ist heute zum Glück ein langes und im Vergleich ihren Eltern und Großeltern auch recht auskömmliches Leben vergönnt.
Für mich zählten die Wochen bei meinen Großeltern in Brandenburg zu den schönsten Kindheits- und auch Jugenderinnerungen. Aus meiner Sicht und im Vergleich zu meinen arbeitenden Eltern, die sich nicht viel leisten konnten, war es jedesmal wie ein Besuch in ein Schlaraffenland. Dabei waren meine Großeltern auch nicht besonders wohlhabend, sondern führten ein einfaches aber sehr schönes, naturverbundenes und genüssliches Rentnerleben auf dem Land. Meine Großeltern sind wie bei ganz vielen anderen in meiner Generation erst gestorben, als ich schon erwachsen war.
Das Bild von Großeltern, die ihr Leben im Alter genießen konnten und sehr lange lebten, und die damit fehlende frühe erste Erfahrung mit Tod und Verlust – denn der erste große Verlust ist im Regelfall der Tod der geliebten Oma oder des geliebten Opas – diese beiden Aspekte prägen ganz viele Kindheiten heute und in jüngster Vergangenheit.
Der Drang, aus seinem Leben etwas zu machen und sich in jungen Jahren anzustrengen statt die Jugend auszukosten, rührt auch daher, dass man hofft, eines Tages gehe es einem mal so gut wie den Großeltern und man werde lange genug leben, um das zu genießen. Diese vielleicht nur unterbewusste Zukunftshoffnung vieler junger Menschen ist nach meiner Meinung eigentlich etwas sehr Schönes.
In diesem Sinne – Hoffnungsfrohe Grüße an Dich und die anderen Zuhörer,
Silvio
Moin,
ich würde Haralds Wohlstands-Demokratie-Hypothese und die Ergebnisse aus der KZSS-Studie nicht als widerssprüchlich betrachten, sondern eher in einer zeitlichen Abfolge einbetten. Denn der in der Nachkriegstzeit aufkommende, materielle Wohlstand bezieht sich ja nicht unbedingt nur auf Wohneigentum und den folgenden Erbschaften, sondern auch allgemeine, ökonomische sowie existentielle Sicherheit. Weiterhin muss für den Erwerb von Wohneigentum des Einzelnen erst einmal Kapital zur Verfügung, sodass es eine gewisse Zeit/Wohlstand während und nach dem wirtschaflichen Aufschwung braucht bis zum Eigentumserwerb (hierfür sollte man sich mal kaufkraftbereinigte Immobilienpreise, Zinsen und Eigenkapitalanteil angucken). Die Segregation der Wohlhabenden von Gesellschaft und Staat wird ja auch eher ein schleichender Prozess sein. Da die Studie die Lage von 2002 betrachtet und ich nicht weis wie weit sie zeitlich zurück geht, wäre es interessant ob die Korrelation zwischen Wohneigentum, Staatsaversion und Marktaffinität auch schon in den 70er, 80er, oder 90er bestand oder wie ausgeprägt sie war.
Zum Abschluss noch etwas von meinen Erfahrungen im Bereich Rentnerrepublik:
Ein Reibung mit den juvenilisierten Alten erreicht man heute wirklich nur noch im Extremen. D.h. man muss schon ein hundehassender, ruheliebender Kommunist sein, damit Reibung ensteht und nicht sofort das Wort „Kompromiss“ in den Raum geworfen wird.
Eine weiter Überlegung/Beobachtung meinerseits dazu wäre, dass duch das ansteigende Alter von Eltern, die Kinder in ein stark ausgeprägtes Sicherheits-Mindset hineingeboren werden und damit aufwachsen. So dass mir in der KiTa doch schon so einige sehr altkluge und belehrende Kinder aufgefallen sind, wo meine Frage ist, wie Sie auf solche Gedanken (z.B. bei Themen wie Arbeit) kommen und ob man sich damit schon mit 3-4 Jahren beschäftigen muss.
Das wars und liebe Grüße
Müdigkeitsgesellschaft (Byung-Chul Han):
Ist euch schon mal aufgefallen, wie die Möbel in den Möbelhäusern derzeit aussehen, insbesondere die Sofas? Das sind reine Liegelandschaften. Ob das von der einen Seite gewünscht (Käufer) oder von der anderen forciert wurde (Hersteller/Verkäufer) kann ich nicht beurteilen, aber die bisherige Zweiteilung von Mediennutzung in „lean forward“ und „lean back“ sollte um eine Dritte ergänzt werden: „lay down“ oder „slacken off“ (abschlaffen). Dieser Modetrend der langen und sehr raumgreifenden Couchen verführt den Nutzer zum ausdauernden trägen herumsülen. Es sind quasi Betten für den Tag. Es ist aber kein Treffpunkt mehr, um sich mit Freunden oder Familie im Gespräch auszutauschen. Meine Vermutung ist, dass dieses Design dem entlosen inhalieren mit ständig zur Verfügung stehenden Serienfolgen sehr entgegen kommt (Binge Watching). Der Kopf wird betäubt und zur Sickergrube für das Flimmerglas degradiert. Motivation zur Äußerung besteht nicht mehr oder verkommt in 140-Zeichen (280 blah-blah F.U.). Ich habe auch eine ferne Ahnung von Parallelen zur Verkindlichung des Erwachsenseins – ein virtuelles Laufgitterbett für Generationen, die eigentlich erwachsen agieren sollten. Ablekung und Dauerschlaf; 24 Stunden lang. Inwieweit sich das in der Gesamtheit für eine Gesellschaft auswirkt kann ja mal diskutiert werden.
Beispiele, Bilder: https://www.hoeffner.de/wohnlandschaften
P.S.: Stefan, dies hier ist ein tolles Podcastformat, auch wenn ich den Namen „Talk Radio“, für etwas zu generisch halte. Schade, dass man nicht immer gleich mitdiskutieren kann, sondern (langsam) kommentieren muss, sofern man sich im Nachhinein noch daran erinnert.
P.S.S.: Du hast in Folge 3 (oder 4) versprochen Tipps aufzuzählen, wie man sich Merkpunkte beim Hören von Podcasts einfach setzen kann. Machst du das noch? (Hoffentlich habe ich es nicht überhört.)
Hallo Stefan,
ich meine, dass die Bücher von Richard Sennett sehr gute Beispiele für das von dir genannte „anekdotisches Schreiben“ sind. Er findet eine Form, in der teils sehr individuelle Beschreibungen, angereichert durch Statistiken und vieles mehr, eine unheimlich dichte und spannend zu lesende Geschichte ergeben, die trotzdem soziale Phänomene auf gesellschaftlicher Ebene trifft.
Liebesgrüße,
Manuel
So oft wie du in der aktuellen Folge Stress thematisierst, wäre eine genaue Betrachtung, was Stress ist, denke ich, hilfreich.
Ich weiß nicht, welche Rolle die gängigen Stress-Theorien in deinem Studium gespielt haben, deswegen an dieser Stelle nur ganz kurz. Im Medizinstudium wurde das zwar zu einem großen Teil von Soziologen unterrichtet, aber das muss ja nichts heißen. Wenn du Interesse hast, kann ich gerne meine ausführlicheren Gedanken und Quellen dazu schicken.
Das Schöne an den Theorien ist hier, dass sie von jedem mit Anekdoten gefüllt werden können. Sie sind sehr leicht anwendbar.
Ich überspringe jetzt mal die logische Herleitung aus Reiz, Sympathikus-Aktivierung, Fight-or-Flight-Reaktion, Chronifizierung, erhöhtem Cortisolspiegel und bespreche beispielhaft eine Theorie.
Critical Life Events nach Holmes und Rahe:
Stress entsteht durch große Veränderungen im Leben, unabhängig davon, wie wir sie bewerten. Dazu die Liste mit den Critical Life Events. Als wir den Test im zweiten Semester selbst gemacht hatten, hatte jede einzelne Person meiner Seminargruppe einen Score, der mit einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen verbunden ist. Durch Umzug in eine neue Stadt, eigene Wohnung, Studienbeginn, Jobwechsel etc. hatte wir alle in der Summe kleiner Live Events einen Gesamtscore über 150.
Diese Scores korrelieren signifikant mit psychischen Erkrankungen. Es ist von daher gar nicht so merkwürdig, dass Studenten sich gestresst fühlen und oft Depressionen oder Ängste entwickeln. Sie sind objektiv messbar gestresst.
Genauso sind wir nach dem Gratifikationskrisenmodell von Siegrist und dem Anforderungs-Kontroll-Modell von Karasek hohen psychischen Stress ausgesetzt. Obwohl man das im ersten Moment von einem Studium nicht unbedingt erwartet, ist in der wissenschaftlichen Analyse vollkommen logisch, dass Studenten extrem gestresst sind.
Damit daraus eine psychische Erkrankung entsteht, sind noch zwei Faktoren relevant.
Vulnerabilität: ist zum Teil genetisch bedingt zum Teil in der Kindheit erworben. Im Studium finden sich überproportional Akademikerkinder. Akademikereltern verbringen in der frühen Kindheit weniger Zeit mit ihren Kindern als nicht-Akademiker. Nach dem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung von Erikson mangelt es dadurch häufiger an Urvertrauen. Das ist mit sehr hoher Vulnerabilität verbunden.
Auch das kann man bei uns anekdotisch beobachten. Die am stärksten gestressten Personen, die ich kenne, sind die, deren Eltern sehr früh wieder viel gearbeitet haben. Ich hingegen (meine Mutter hat mein gesamtes erstes (und zweites?) Lebensjahr zu Hause gearbeitet oder mich ins Büro mitgenommen) gehe viel lockerer mit Prüfungen um und auch damit, wenn ich eine nicht im ersten Versuch bestehe.
Coping-Mechanismen: also Ausgleichs-Mechanismen, um Stress abzubauen, sind im Studium schwerer zu verwirklichen als vorher.
Ich gehe nicht mehr regelmäßig zum Mannschaftssport, weil ich Probleme habe, das in meinen Stundenplan zu integrieren, und ich mach keine Musik mehr, weil ich mein Klavier nicht mitnehmen konnte. Stattdessen habe ich für mich als Coping das Schreiben von Gedichten gefunden, dass vor allem für emotionalen Stress gut geeignet ist.
Freunde von mir verbringen, wenn sie sehr gestresst sind, abends hingegen viel Zeit mit dem Gucken von Serien. Das ist ein sehr ineffektives Coping, weil dadurch nichts abgebaut wird, sondern nur neuer Input erhalten.
Auch negative Coping vor allem durch Drogenkonsum steigt bei vielen Studenten im Vergleich zur Schulzeit stark an. Das kann im Einzelfall besser sein als kein Coping (wenn es bei ein paar Bier bleibt), in anderen Fällen aber zum Trigger für psychische Erkrankungen werden.
Zusammengefasst: Studenten sind besonders vulnerabel, objektiv stark gestresst und verfügen oft nicht über ausreichende Coping-Mechanismen. Der perfekte Cocktail für Depression und Co.
Diese Thematik ist, aber nicht nur für den Jugendteil und Akademiker relevant. Ich denke Stress kann auch in vielen anderen Kontexten interessant zu analysieren sein.
Die Veränderungen im Alter (Pflege, Altersheim) sind Stressoren, bei gleichzeitig nachlassenden Coping-Möglichkeiten.
Möglicherweise erhöhte Vulnerabilität durch weniger Urvertrauen in Ostbiografien als Folge der guten Kinderbetreuung.
Wutbürgertum als Coping-Mechanismus.
Institutionalisierung von Stress.
Ich finde da ergeben sich noch einige spannende Fragen.
Und wie oben geschrieben, schicke ich dir gerne noch Ausführlicheres. Wollte nur nicht ewig lang Theorien beschreiben, die du vielleicht schon kennst.