Die große Auswertung ist da! Bei Bloomberg saßen sie zu siebt daran, die Nachrichtendiät der Wähler vor der Wahl zu studieren. Das bedeutete insbesondere: Relive Youtube. 2000 Videos, 1300 Stunden. Youtube, schreiben die Autoren, ist inzwischen der reichweitenstärkste Podcast-Player, mit mehr Publikum als Spotify oder Apple. Das allein ist schon bemerkenswert.
Laut des Pew Research Centers nutzen mehr als 90 Prozent der Erwachsenen Youtube. Drei Viertel aller Teenager schauen täglich dort vorbei. In den vergangenen zwei Jahren, schreiben sie bei Bloomberg, haben sich Youtuber und Podcaster als „der neue Mainstream“ etabliert.
Wer genau, das ließ sich auch bei Trumps Amtseinführung sehen. Gleich in der zweiten Reihe, hinter der Trump-Familie und den Broligarchen, saß zum Beispiel Joe Rogan. Ansonsten hingen, laut Text, die Nelk Boys, Theo Von, Lex Fridman und Patrick Bet-David mit auf den Partys herum. Auf den Fotos waren noch einige mehr zu sehen.
Nicht alles, was man auf deren Kanälen sieht, ist Politik. Aber wenn, ist was los. Bloomberg interessierte sich für die Podcaster und ihre Gäste. 15 Prozent von ihnen fallen in die Kategorie Politik. Damit sorgten sie allerdings für 30 Prozent der Reichweite der Kanäle.
„Slalom um die Nachrichten“, wie Elmar Theveßen seinerzeit als Chef des ZDF heute Journals das Verhalten seines Publikums kritisierte, gibt es hier nicht. Die Leute schalten neuerdings für Politiker extra ein! Allerdings nur unter einer Bedingung: Es wird anders geredet.
„Wir haben definitiv bei der Wahl der jungen Männer geholfen“, sagte Kyle Forgeard, ein Mitglied der Nelk Boys, in einem Interview. „Im Podcast sagen wir einfach unsere Meinung, versuchen, uns selbst treu zu bleiben und sagen, was wir denken.“
Bloomberg
Vor mehr als zehn Jahren war ich im Lobby-Büro von Google in Berlin, um einen Vortrag von Julius van de Laar zu hören. Er sprach damals über seine Arbeit als Obamas Get-out-the-Vote-Director in Ohio, also über eine damals gigantische Datensammelaktion, um eine vollständige soziale Landkarte der Wähler zu haben.
„Es ging um Zahlen, Daten und Fakten, nicht um politische Botschaften aus den Hinterzimmern.“ Um was damit zu tun? Immer noch Haustürwahlkampf. Die Wahlkämpfer klingelten nicht selbst, sondern schrieben einen bereits überzeugten Wähler an und baten ihn, mal bei Nachbar Joey zu klingeln. Formulierungshilfen zur Gesprächseröffnung und maßgeschneiderte Argumente inklusive.
Man hatte herausgefunden, dass 78 Prozent der Menschen, denen von Freunden oder Bekannten empfohlen wurde, Obama zu wählen, tatsächlich für ihn stimmten.
Diese enormen Werte, die Fernseh- und Plakatwerbung weit in den Schatten stellen und an die auch die persönliche Ansprache der Kandidaten nicht heranreicht, sind wohl nun auf die Plätze verwiesen. Einen Kandidaten im lockeren Gespräch bei seinem Lieblingspodcaster plaudern zu hören, scheint das neue wirkmächtigste Wahlkampfmittel zu sein. Diesen Satz kann man maskulin schreiben, 80 Prozent des Publikums sind männlich, die Podcaster sowieso.
Es geht damit um die jungen Männer, die den Wählerblock bilden, dessen Shift im Wählerverhalten Trump die Präsidentschaft sicherte. Die Autoren schreiben es ganz düster:
„Heutzutage sind junge Männer einsamer denn je. Laut dem Equimundo-Bericht ‚State of American Men 2023‘ blicken die 18- bis 23-Jährigen am pessimistischsten in die Zukunft und haben das geringste Maß an sozialer Unterstützung.“
Bloomberg
Trump und seine Fighter suchten die jungen Männer dort auf, wo sie sich ohnehin aufhielten, und gaben ihnen Antworten.
Podcasts sind für diese Zuhörer ein Wohlfühlmedium. Sie müssen niemandem etwas vorspielen, niemand will was von ihnen. Alle sind einer Meinung. Niemand redet die Lage in gekünsteltem Politiksprech schön.
„Keiner der Sender bezeichnet sich selbst als politischer Experte, und ihre konservativen Gesprächsthemen waren eingebettet in lockere Diskussionen über Sport, Männlichkeit, Internetkultur, Glücksspiel und Pranks, was die Rhetorik für ein unpolitisches Publikum schmackhafter machte.“
Bloomberg
Sehen sich viele Journalisten als Teil der Politik, bleiben die Podcaster aufseiten des Publikums. Man kann sich als Wähler mit ihnen identifizieren. „Wir befinden uns in einer Medienwelt, in der Menschen jemanden authentisch kennenlernen wollen, und wenn sie das Gefühl haben, jemanden authentisch kennenzulernen, haben sie das Gefühl, ihm mehr vertrauen zu können“, sagt Aaron Ginn, Chef eines konservativen Think Tanks. Vertrauen in Medien – ein fortwährendes Rätsel.
Aber es lässt sich mindestens sagen, dass Zuschauer offener für politische Botschaften sind, wenn dieselben Leute auch in der Lage sind, etwas über den Alltag, Beziehungen, Arbeit und Popkultur zu sagen. Politische Kommunikation ist nicht mehr, was sie bis gestern war. „Es gibt diesen umfassenden Generationswechsel bei den Menschen, denen zugehört wird“, hat Mark Zuckerberg bei Joe Rogan gesagt. Der Generationswechsel der Leute, denen zugehört wird, ist zugleich ein Wechsel des Mediums selbst und damit der große Abschied vom politischen Journalismus.
Allein bei Joe Rogan kam Donald Trump auf 50 Millionen Zuschauer. Mit seinen 9 Besuchen in den beobachteten Podcasts durchbrach er die 100-Millionen-Marke. Just heute gibt CNN bekannt, Hunderte Stellen streichen und sich neu ausrichten zu wollen. Viel Glück!
All das hier Beschriebene betrifft, laut der Analyse von Bloomberg, die vergangenen zwei Jahre. Einen so rapiden Strukturwandel der Öffentlichkeit hat es noch nie gegeben.
Allerdings: Das alles klingt nur so düster, weil der Wandel so einseitig ist. Die Erfolgsgeschichten werden derzeit nur von neurechten Medienmarken geschrieben, die sich zudem zunehmend radikalisieren. Bloomberg fasst den Tenor im amerikanischen Youtube so zusammen: „Amerika befindet sich in einer verzweifelten Lage, destabilisiert durch die steigende Inflation, Migranten, die über die Grenze strömen, und den Beginn eines Dritten Weltkriegs.“ Wenig verwunderlich schließen sie die Beobachtung an: „Dieselben Botschaften wurden am Montag in Trumps Antrittsrede übermittelt.“
Die Stimmung auf Youtube und die Laune von Trump fallen also ununterscheidbar zusammen. Nur für wie lange? Ein Erfolgsrezept ist es gerade nicht, als Youtuber, der sich mit seinem wütenden Einzelkämpfer vorm Bildschirm identifiziert, mit dem mächtigsten und dem reichsten Mann der Welt auf einer Linie zu sein. Das geht vielleicht noch ein paar Wochen gut.
„Der einfachste Weg, heutzutage Zuschauer zu gewinnen, ist, sich Feinde zu machen“, sagte Mike Majlak, Co-Moderator des Podcasts ‚Impaulsive‘, im Juli 2023. „Ich stehe allein gegen den Rest der Welt. Ich bin der kleine Mann, der für das Richtige eintritt, gegen die Konzerne, gegen die Gier der Regierung, gegen Chuck Schumer. Wenn Sie einen weißen Ritter suchen, dann schauen Sie zu mir. I’m your f – – – ing guy.“
Bloomberg
Hierin liegt kein Auftrag, aber ein Hinweis an den Journalismus. Wenn man sich nicht getäuscht hat, sondern seinen eigenen Worten glaubt, dass das mit Trump keine gute Sache ist, muss man ihn und sein System – also die Regierung – zum Feind erklären.
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