Was sind kosmopolitische Gefühle?

So viele Erklärungen, Experten und Einschätzungen. Dabei geht’s doch um Trump und Terrorismus. Alte Literatur lehrt uns: Gefühle sind das Maß der Dinge. Wir sollten wagen, uns darauf einzulassen und zwar ausgerechnet beim Nachrichtenkonsum.

Im Podcast habe ich für kürzere Videos die Rubrik „Fernsehmomente“. Hier geht es um einen. Er ist zugleich wahnsinnig real und wahnwitzig artifiziell. Er zeigt ein Korrespondentengespräch, ein Format, das meistens aus Verlegenheit gewählt wird. Das Offensichtlichste soll gesagt werden; der Moderator im Studio könnte es einfach sagen. Monologe taugen aber nur zur Ankündigung, als Anbahnungen. Die Berichterstattung braucht aufwendigere Formate, mindestens ein Gespräch zu zweit. Wie hier:

heute journal vom 14. Februar 2025 

Dunja Hayali fragt ungewöhnlich waghalsig nach „Verschwörungspraktiken“. So viele Anschläge nach denselben Mustern. Könnte hinter dieser Realität, gegen die sich Nachrichtenmacher nicht wehren können – wer um 12 Uhr Terrorismus verübt, übernimmt damit immer auch die Regie der Nachrichten ab 20 Uhr – eine geplante Praxis stecken? Sarah Tacke, Chefin der Rechtsredaktion des ZDF, kann dazu keinen Gedanken ausformulieren. Sie wird stattdessen von ihren Gefühlen ergriffen. Verschwörung oder nicht, der Terrorismus hat sein Ziel erreicht. Der „Angriff auf Unschuldige“ traf alle, die von ihm erfahren haben.

Wer hat wozu und weshalb überhaupt Gefühle?“ Peter Fuchs hat diese Frage vor Jahrzehnten gestellt. Damals wurde noch systemtheoretisch gedacht. Die Antworten sind für die Ewigkeit, sie gelten gerade heute. Um nicht zu sagen, sie gelten jeden weiteren Tag jenseits der Guttenberg-Parenthese etwas mehr.

Gefühle sind hier nicht das, wonach es aussieht: psychische Entitäten oder gar Energien. Gefühle verweisen auf eine Differenz zwischen der sehr komplizierten inneren Verfasstheit einer Person und den notwendig beschränkten Möglichkeiten, diese so auszudrücken, dass es allgemein verständlich ist. Im obigen Fall ist Sarah Tacke zuerst nicht in der Lage und dann nicht daran interessiert, ihre Gefühle mitzuteilen. Wir sehen, dass sie von Trauer ergriffen ist, aber aus Taktgefühl lässt es auch Dunja Hayali bei der bloßen Beobachtung. „Ich bin wieder da“ – weiter im Text.

War sie woanders? War sie jemand anderes? Welche Differenz glaubt sie gerade überbrückt zu haben? Darüber zu reden ist schwer, im Fernsehstudio ist es unmöglich. „In die Kommunikation müssen Nichtfraglichkeiten eingebaut werden, die abgeschottet sind gegen die Beobachtungsebene der zweiten Ordnung“, schreibt Peter Fuchs. Irgendwann muss man mal zum Punkt kommen. Hin und wieder müssen die Sachen auf den Tisch. Die Approximationshoffnungen1 beim Schauen einer Nachrichtensendung gehen am weitesten, wenn die Tränen am nächsten sind. Das fühlen wir alle gerade bei fast allen Nachrichten der aktuellen Tageslagen: Es geht gerade um etwas Echtes, Unhintergehbares, aber ebenso auch Unaussprechliches.

Trumps Erfolgsrezept ist, zu sagen, was er fühlt, ungehindert von akademischer, politischer und historischer Sachlage. Und so langsam kommen auch wir auf den Geschmack. Wer kann den Quark noch erklären? Niemand. Wir sind wütend, traurig, angeekelt, aber auch amüsiert. Niemand kann sich einen Reim darauf machen, aber wir fühlen, es ist furchtbar real.

„Die Annahme ist, dass die kommunikative Bezeichnung des nicht bezeichenbaren Surplus der Wahrnehmung (also von Gefühlen) in dieser Hinsicht sozial attraktiv geworden ist. Sie arbeitet wie eine Reflexionssperre. Sie absorbiert kommunikative Kontingenz, ohne dabei alle Anschlüsse zu kappen. Die Möglichkeit wird installiert, die Informationsraffung, die Beobachtung ermöglicht, auszunutzen für die Erzeugung eines inviolate level, auf dem bestimmte Informationen (ebendie über Gefühle) nicht negiert werden können.“

Peter Fuchs

Hier gilt, nicht nur bei unserem Thema, eine interessante Zweigleisigkeit. Wir sehen Trump und haben Gefühle, und zwar genau die gegenteiligen derjenigen, für die er seine Quatschpolitik macht. Die einen fühlen Genugtuung, die anderen sind angewidert. Terroristen sterben für ihre Freude darüber, dass wir trauern. Das Ziel des Terrorismus ist, die Intensität der Trauer zu maximieren. Terror spielt, das ist seine Definition, über die Bande der Medien. Sarah Tacke spricht von „Unschuldigen“, die vom Terror betroffen sind. Sie meint sich selbst, uns und alle, die von den Anschlägen erfahren.

So gilt es auch für Trump. Was er veranstaltet, ist politischer Terrorismus. Die mediale Inszenierung des Regelbruchs ist noch wichtiger als der politische Sachverhalt, sie soll uns alle erreichen. Ebenso entgrenzt sind allerdings auch die Reaktionen auf dem zweiten Gleis. Sie bleiben nur bislang weithin unsichtbar, weil noch wenig kommuniziert wird, worüber man nicht kommunizieren kann – was Leute zu Hause fühlen, wenn sie Nachrichten gucken. Wir reden ja nicht mal über Tränen im Fernsehstudio. Journalisten geben sich alle Mühe, politische Sachverhalte darzustellen. Doch wir fühlen bereits, dass es um die Details eigentlich nicht geht.

Rachel Maddow hängt ihr Bit daran auf, wie viele Amerikaner gerade ihre Abgeordneten anrufen. Das kann tatsächlich eine relevantere Kennziffer sein als die Truppenstärken in der Ukraine, die Höhe von Zöllen oder die Kosten für Eier in Amerika. Weil die politische Behandlung dieser Probleme davon abhängt, wie viele Leute jetzt ihre Abgeordneten anrufen.

Sind Gefühle also wichtiger als politische Sachfragen? Derzeit, ja. Wenn Trump die Demokratie in eine Diktatur kippt, wechselt das Vorzeichen – in derselben Dimension. Bislang geht es darum, Wähler für sich zu begeistern. Doch schon zu den Midterms könnte es ihm darum gehen, zu verängstigen. In diesen politischen Konkurrenzkampf können Demokraten nicht mit einsteigen.

Hinter der „Reflexionssperre“, die Gefühle schaffen, lauten die Grundbegriffe in Peter Fuchs’ Text: „Authentizität“, das „Echte“, das „Natürliche“. Sozial konstruiert zwar, aber das ist nur zweitrangig. Entscheidend ist die Unhintergehbarkeit, die Alternativlosigkeit, Gefühle zu erleben und nach ihnen zu handeln, statt weiterhin gesellschaftliche Komplexität und Kontingenz mithilfe von Dunja Hayali im heute Journal-Expertengespräch zu verarbeiten.

Die zweite Lektüre, die hierzu empfohlen und angemahnt ist, katapultiert das einsame, heimische, private Gefühl in die politische Sphäre. Ulrich Beck hat 2004 ein Buch geschrieben, dessen intellektueller Aktienkurs die kommenden Jahre steil ansteigen wird. Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden handelt von den ungewollten und ungeplanten Veränderungen soziokultureller Großwetterlagen. Dinge verändern sich. Erst merkt es keiner. Dann fragt man vorsichtig danach. Schon fällt es einem wie Schuppen von den Augen.

Was ist eine Bundestagswahl anderes als eine „Epochenillusion“? Wir leben in transnationalen Realitäten. Wir schaffen eine Nachrichtenrealität in Berlin, aber wie sehr wird die Bundestagswahl unsere Nation, ihr Territorium, unsere Gesellschaft, die Politik und Kultur tatsächlich verändern? Das Leiden an der Ungültigkeit von Koalitionsverträgen, die Bedeutungslosigkeit, welche Minister Beschlussvorlagen in Brüssel unterschreiben, der Unterschied zwischen einer Caren-Miosga-Diskussion und einer Kabinettssitzung schreien seit Jahrzehnten zum Himmel. Aber jetzt kommt Echo zurück.

Ulrich Beck beschrieb damals einen kosmopolitischen Realismus. Die Risiken sind global, die Abhängigkeiten wechselseitig und raumgreifend. Was sich vor allem (Handel, Wissenschaft, Internet) globalisiert hat, sind unsere Emotionen.

„Die Tränen, die wir verlegen in unseren Kino- oder Fernsehsesseln aus den Augenwinkeln wischen, sind zweifellos gezielt hergestellt worden durch die Kunstfertigkeit Hollywoods oder die Inszenierung der Nachrichten. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie die Räume unserer emotionalen Imagination erweitert, transnationalisiert haben.“

Ulrich Beck

Hollywood und die Nachrichten. Alte Prinzipien, neue Protagonisten. Wir sehen es noch nicht. Aber sehr viele Menschen fühlen derzeit schlicht dasselbe, wenn sie sehen, was politisch geboten wird. Unsere privaten Gefühle, wenn wir Nachrichten lesen, sind schon längst politische Weltgesellschaft. Wir sehen die Jahrhundertfigur Donald Trump und denken, wir sind genauso individuell und besonders wie er (auf unsere Art, klar). Doch das stimmt nicht. Ganz im Gegenteil. Es ist, wie Stefanie Stahl bei „Alles gesagt?“ anmerkte: „Oberflächlich gesehen hast du Millionen verschiedene Geschichten, aber wenn du es auf der Strukturebene analysierst, ist es immer nur Thema und Variation. Wir Menschen sind nicht so wahnsinnig kompliziert.“ Wir haben alle dieselben Probleme und Gefühle.

Donald Trump regiert die Welt nicht, weil er ihr ein politisches Angebot zu ihren offenen Sachfragen gemacht hat, sondern schlicht, weil eine ausreichende Anzahl an Menschen etwas gemeinsam gefühlt hat. Daraus soll nun kein Umkehrschluss gezogen werden, dass es ausreichte, etwas zu fühlen. Die politischen Sachfragen werden von Trump ja nicht gelöst, bleiben also. Aber vor den Sachfragen steht eben ein Gefühl, das nicht zu schnell unter Sachfragen begraben werden sollte. Gestehen wir es uns ein, es ist die Zeit für einfache Antworten auf Fragen, die einem Gefühl entspringen.

Man könnte die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl zum Beispiel an dieser einen Frage aufhängen: Welchen volkswirtschaftlichen Nutzen hat es, dass ich jeden Monat die Hälfte meines verfügbaren Einkommens an einen Milliardär überweise?

  1. Diese Fußnote ist am 21. Februar, also nachträglich, eingefügt um auf Kommentare zu reagieren. ‚Approximation‘ und ‚Hoffnung‘ sind zwei Begriffe, die etwas im Ungefähren lassen, obwohl sie etwas Konkretes meinen. Man nähert sich an, man hofft auf etwas. Das, um was es geht, bleibt aber immer etwas entfernt. Man kann soziologisch nicht einfach von Wahrheit und Wirklichkeit sprechen, da man mindestens spezifizieren sollte, aus wessen Perspektive man spricht und welche Implikationen diese Perspektivgebundenheit mit sich bringt. Wer Nachrichten schaut, hat also eine Approximationshoffnung, etwas mehr über die Welt, in der er lebt, zu erfahren. ↩︎

Alle Texte als Podcast (ki-gelesen) und demnächst REDAKTIONSSCHLUSS als kommentiertes Hörbuch (von mir gelesen) gibt es bei Steady.


6 Antworten

  1. Ich kenne Dich seit etwa Aufwachen Folge 50 und verfolge seitdem so ziemlich jeden Deiner Podcasts. Ich finde Deine Gedanken sehr interessant und bereichernd. Aber eines finde ich sehr schade; wenn ich meiner Mutter einen solchen Podcast zeige, sagt sie „der hört sich gern reden“. Was bedeutet: sie versteht nicht was du sagst. Dieser Text ist beispielhaft dafür und auch in der Altenrepublik gibt es das andauernd: Deine Formulierungen sind teils sehr abstrakt, die Sätze zu verschachtelt und erfordern Wissen, das meist nur Akademiker haben („Aproximationshoffnung, hä?“).
    Ich wünsche mir, dass linke Intellektuelle wie Du und Wolfgang viel mehr Publikum finden. dazu müsstest Du aber eine Sprache finden, die auch Oma Erna versteht.

    1. Deine Oma muss den Text doch nur rückwärts lesen. Dann reicht auch der erste (letzte) Absatz.

    2. Avatar von Vincent Braun
      Vincent Braun

      Ich habe auch nicht verstanden was mit dem Satz gemeint ist: „Die Approximationshoffnungen beim Schauen einer Nachrichtensendung gehen am weitesten, wenn die Tränen am nächsten sind.“ Übersetzt lese ich: Die Hoffnung auf Annäherung beim Schauen einer Nachrichtensendung ist am größten, wenn Gefühle am deutlichsten gezeigt werden!? Wer nähert sich hier wem an? Hofft die nachrichtenschauende Person das sich die Sprecher ihr annähern? Oder will man sich den Nachrichten annähern? Warum wird nur die Hoffnung größer und nicht die tatsächliche Annäherung? Ist Approximationshoffnung ein gängiger begriff in irgendeiner Wissenschaft? Google, Claude, ChatGpt etc konnten mir dazu keine Antwort liefern.

      1. Im Kern geht es bei der „Approximationshoffnung“ darum, dass die zuschauende Person darauf hofft, dass die Inhalte der Nachrichten mit der eigenen gefühlten Realität übereinstimmen. Die Menschen sind unsicher und haben teilweise Angst und wenn eine Journalistin im Fernsehen dann eine Träne fließen lässt, findet eine Annäherung zwischen der subjektiven Realität der Zuschauenden und der normalerweise recht sterilen Realität der Medien statt.

        So habe ich es zumindest verstanden. Das ist ein Neologismus aus der Soziologie. Wenn man auf ein neues Phänomen stößt, welches in seiner spezifischen Nuance noch nicht definiert wurde, denkt man sich häufig neue Wörter aus. Aber in diesem Fall halte ich die Wortneuschöpfung für sinnvoll.

  2. Finde die Gedanken des Texts und die Anregungen in den Kommentaren sehr bereichernd und freue mich, wenn das weitergeführt wird und vielleicht sogar weiterentwickelt. Habe das Gefühl, dass eben diese besungenen Gefühle mehr auf deinen Plattformen auftauchen könnten, Stefan. Es entsteht ja schon eine gewisse Schieflage in der Authenzität, auf der einen Seite die eiseskalte Nachrichtenwelt auf allen Ebenen ständig zu kritisieren und auf der anderen Seite sich nicht zu trauen über mehr als eine zynische Reaktion auf die Weltlage hinaus zu gehen (oder zumindest das, was sich nach Zynismus anhört). Ich denke hier versteckt sich auch eben dieses, dass Menschen den Eindruck bekommen, jemand hört sich gerne selbst reden, obwohl es vielleicht garnicht so ist, wenn jemand alles erklären will und irgendwie behauptet besser zu wissen. Auch wenn es so ist. Und gleichzeitig verfängt es gerade wahnsinnig gut, wenn linke Politiker*innen einfach nur mal rumschreien, weil es einfach die Gefühlswelt so verdammt gut abholt. Also Stefan, hast du irgendwo noch andere Gefühle versteckt als Zynismus, die du dich traust mit deiner Bubble zu teilen? 😉

  3. @ Patrick: Interessant. Ich denke, der Text ist eher als ein Resonanzraum für die eigenen Gedanken und Gefühle der Lesenden zu verstehen. Nicht als Vorgabe, wie man emotional auf bestimmte Ereignisse reagieren sollte. Es sind Denkanstöße, die jeder auf seine eigene Art verarbeiten kann.
    Und der von dir angesprochene Zynismus ist dabei vielleicht weniger eine bewusste Haltung, sondern schlicht ein stilistisches Mittel der Reflexion. Da hat jeder Autor seine eigene Art.

    Zum Thema Authentizität: Eine analytische Herangehensweise kann sicher authentisch(er) wirken – sie ist aber letztlich einfach eine andere Form der Auseinandersetzung als das emotionale ‚Rumschreien‘.
    Am Ende ist die Herangehensweise wohl Geschmacksache.

    Und auch, wenn ich den Text erstmal auch nicht auf Anhieb komplett verstanden habe 😉 – es ging ja in dem Text nicht um persönliche Gefühlswelten, sondern um kosmopolitische Gefühle – also um eine kollektive Emotionalität, die sich gerade durch eine gewisse reflektierte Distanz zum Unmittelbaren auszeichnet.

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