Inhaltlich lässt sich die heutige Situation im amerikanischen Oval Office schnell beschreiben: Trump hat die richtigen Vorhaltungen zu Krieg und Frieden dem falschen Gesprächspartner gemacht. Hätte da Putin statt Selenskyj gesessen, wäre es immer noch merkwürdig, aber leichter verdaulich gewesen.
Nun war es aber Wolodymyr Selenskyjs Termin bei Donald Trump, der ihm wohl durch Nachdruck von Emmanuel Macron vermittelt wurde. Macron ist, ohne Frage, ein Europäer. Ein Stück weit saß also vorhin Europa mit bei Trump – wie auch schon bei Keir Starmer, der als Nicht-EU-Mitglied, aber neuerdings Teilnehmer von EU-Gipfeln, ebenfalls Europa mit nach Washington brachte.
Die offizielle EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas war dieser Tage auch in Washington, allerdings ohne Treffen; der neue Außenminister Marco Rubio hatte kurzfristig doch keine Zeit. Egal – jeder weiß, dass die Deals in Autokratien unter den Autokraten gemacht werden – oder wenigstens unter (nationalen) Regierungschefs. Mit der EU wird nicht geredet. Aber wenn geredet wird, hängt das Schicksal wieder davon ab, wie sich die Herrschaften verstehen. Haben alle einen guten Tag, schmeckt das Essen, war die Ehefrau nett am Morgen? Dann ist alles gut. Wenn nicht, nicht – wie damals zu Hofe. Streiten sie sich, wird es für alle ungemütlich.
Konflikte auf offener Bühne brechen unsere demokratischen Sehgewohnheiten. Macron hatte es noch freundlich und fröhlich gemacht. So konnte er die Interaktion taktvoll befrieden, ohne den offensichtlichsten Blödsinn unwidersprochen zu lassen.
Dass darauf noch Rache folgen würde, war klar. Vielleicht sahen wir es heute schon. Trump macht ernst – er zieht durch. Selenskyj hat es direkt getroffen. Den nächsten Europäern wird es wohl ebenso ergehen. Ein interessanter Auszug aus Trumps Einstieg ins Gespräch:
„You see the hatred he’s got for Putin. It’s very tough for me to make a deal with that kind of hate. He’s got tremendous hatred.“
Donald Trump
Trump denkt in den alten Kategorien der guten Gesellschaft – die Interaktion soll gelingen. Damit sie gelingt, muss man sich verstehen. Um sich gut zu verstehen, muss man sich Trump unterwerfen. Mit verschränkten Armen, abseits des dortigen Dresscodes, Widerworte zu geben, kann Trump nicht akzeptieren (oder allenfalls von Elon Musk).
Wir sehen an diesen Szenen, wie Trump tickt – und wir sehen an seinem Verhalten auch, wie er glaubt, dass Putin tickt, nämlich wie er. Für seine geplanten „Friedensgespräche“ mit ihm braucht er Geschenke. Im günstigsten Fall eine unterworfene Welt, vielleicht reicht ein gedemütigtes Europa, mindestens aber einen gebändigten Selenskyj. Also wird er gemaßregelt. Die Rollen waren verteilt: Zuerst eröffnete Trump mit der Ansage, er spreche eigentlich für die ganze Welt. Ein paar Minuten später warf J. D. Vance Selenskyj Respektlosigkeit im Oval Office vor.
„I’m aligned with the United States of America. And for the good of the world. I’m aligned with the world. And I want to get this thing over with.“
Donald Trump
Diese Idee, das Schicksal der Welt in den eigenen Händen zu halten, und die einzelnen Störenfriede stellvertretend auszurufen, weil sie dem guten Ende im Wege stehen, kennen wir eigentlich nur aus der Bühnenrealität. Aber egal – wenn Trump es als Theaterstück möchte, soll er es bekommen.
Von hier aus haben wir, nachdem wir uns entschieden haben, in die Rollen zu schlüpfen und die Bühne zu betreten, nur zwei Alternativen: Eine kleingeistige, geradezu jämmerliche, und eine große, wahnwitzige. Die eine hat Philip Banse zuletzt in seinem Podcast Lage der Nation vorgetragen, Wolfgang hat die Auszüge gestern bei uns im Podcast Die Neuen Zwanziger gespielt. Wir verraten uns die Themen vorher nicht im Detail. Es traf mich überraschend, und ich bin immer noch schockiert. Philip sagte:
Ich habe einen Sohn, der ist 19, der hatte den Luxus, jetzt einfach Abi zu machen und zu sagen: „Ach, ich gehe mal ein Jahr ins Ausland.“ Diese Frage – in den Krieg ziehen, Wehrdienst machen, womöglich in die Ukraine geschickt werden – die gab es nicht, die gibt es einfach nicht. Aber das ist vorbei. Das ist vorbei. Jetzt habe ich einen zweiten Sohn, der ist jetzt gut ein Jahr alt und der wird in 17 Jahren, glaube ich, vor einer anderen Frage stehen.
Philip Banse
Damit, den eigenen Sohn zu opfern, lässt sich weder Putin noch Trump beeindrucken. Gerade Putin ist bereit, Hunderttausende junge Menschen in den Tod zu schicken – ihm ist egal, um wen es da geht. Was wir über Putin sagen, stimmt: Dieser Mann geht über Leichen. Daher schlage ich eine zweite Alternative vor.
Europa beginnt jetzt damit, Atomwaffen zu entwickeln und zu testen. Und statt diesen Forschungsplan nur auf eine Tagesordnung zu setzen und vorsichtig nach Möglichkeiten der Finanzierung zu sondieren, erfolgt der Einstieg in das Projekt mit großer Ansage. Gebaut wird die stärkste Atomwaffe der Welt – gebaut wird sie von den klügsten Menschen der Welt. Der Termin zum ersten Atomwaffentest wird gleich als Erstes genannt.
Der Welt wird mitgeteilt, dass Europa ab jetzt verteidigungsfähig ist. Den Europäern wird versprochen, dass ihre Kinder in Frieden leben dürfen und dass dies jetzt zu einem ernsthaften politischen Projekt wird. Und mit diesen Amerikanern wird darüber nicht gesprochen!
Wir geben dem direkten Gespräch in Verteidigungsfragen wieder eine Chance – allerdings nicht mit Putin und nicht mit Trump. Es ist jetzt an der Zeit, dass wir ohne Optimism Bias („Wird schon gut gehen“) unseren eigenen Politikern richtig zuhören und glauben, was sie sagen. Nachdem Trump seine Sprüche zu Grönland machte, beraumte Olaf Scholz eigens eine Pressekonferenz im Kanzleramt an, um uns mitzuteilen, dass die Bedrohung Europas keine Himmelsrichtung mehr kennt.
„In meinen Gesprächen mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern ist deshalb ein gewisses Unverständnis deutlich geworden, was aktuelle Äußerungen aus den USA angeht. Das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen gilt für jedes Land, egal ob es im Osten von uns liegt oder im Westen.“
Olaf Scholz
Er klärte das nicht im Gespräch mit Trump, sondern im Gespräch mit uns. Das zweite Mal – nach seiner Rede zum Bruch der Ampel-Regierung – haben wir verpasst, zuzuhören. Der heutige Nachrichtentag gibt uns abermals den Auftrag, zuzuhören und zu handeln.
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