Die Kühnert-Kontroverse

Montag, 6. Mai 2019, 15:34 Uhr

Jungsozialist Kevin Kühnert wird im Sommer 30 Jahre alt. Und doch zählt er zum jüngsten Zehntel der deutschen Wähler, so alt ist unsere Rentnerrepublik. Entsprechend verlaufen die Diskurse, wenn jemand wie er etwas sagt. In der „Zeit“ schlug er (sprechend denkend) vor, wieder Wert darauf zu legen, dass nicht egal ist, wer regiert. In einer marktwirtschaftlichen Demokratie kann die Politik Entscheidungen treffen und einen Unterschied machen. Politiker waren erschrocken und erzürnt, SPDler und CDUler kritisieren Kühnerts angeblichen Weg in eine DDR 2.0. Unter Wählern und in der Wissenschaft läuft die Diskussion dagegen anders: Unsere Marktwirtschaft werde missbraucht, sagt DIW-Chef Marcel Fratzscher und Radiohörer jubeln für Kevin Kühnert. Wer Kevin Kühnert vorwirft, er verlasse den demokratischen Diskurs, steht selbst schon halb draußen.

Rosa Luxemburg-Stiftung

Ich höre das BR Tagesgespräch von Freitag, Studio9, Anne Will, heute Journal und Tagesthemen von Donnerstag und Freitag. Ich empfehle euch Jennys Podcast mit Paul, Katharinas Denkangebot und den Wahlkampfauftakt der „Partei“.

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11 Gedanken zu „Die Kühnert-Kontroverse“

  1. Ich höre immer das Sozialismus und Demokratie nicht vereinbar sind. Dabei wurde ich bisher auf die Geschichte des Sozialismus verwiesen, dort konnte ich bisher jedoch keinen demokratischen Sozialismus ausmachen. Kannst du dazu ggf. einen Literaturhinweis geben?

  2. @SeBu
    „Sozialismus“ bezeichnet (grob) die Art des Wirtschaftens (Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln = überwiegend Gemeinschaftseigentum) und der sich daraus ergebenden Ertragsverteilung.
    „Sozialismus“ = die Eigentums/wirtschaftsform oder
    „Kapitalismus“ = Eigentums/wirtschaftsform
    „Demokratie“ bezeichnet (grob) die Regierungsform (Parlamentarismus/ Mehrparteiensystem)
    In den Staaten, in denen es bisher (überwiegend) sozialistische Eigentumsverhältnisse gab, gab es gleichzeitig ein heute so bezeichnetes „Einparteiensystem“. (Da nach Marx die „herrschende Klasse“ das Proletariat ist.) ergo „undemokratisch“
    D. h. es gab bisher noch keinen Staat, in dem Regierungsform „Demokratie“ und Eigentumsform „Sozialismus“ kombiniert waren. (so wie man die Begriffe heute versteht)
    Mir selbst ist noch nie eine theoretische Abhandlung untergekommen, in denen dieses Modell ausformuliert wurde.
    „Soziale Marktwirtschaft“ bezeichnet den Versuch, unter kapitalistischen Eigentumsverhältnissen, Elemente sozialistischer / sozialer Verteilungsansätze innerhalb eines „demokratisch“ organisierten Gemeinwesens (Mehrparteiensystem/ freie Wahlen) durchzusetzen.
    Den umgekehrten Fall sehen wir m.M.n. z.B. in China , wo Einparteiensystem (Regierungsform) und überwiegend sozialistische Eigentumsverhältnisse mit kapitalistischen Eigentumsverhältnissen kombiniert werden.
    In Ländern Lateinamerikas wie z.B. Venezuela gibt es umgekehrt den Versuch, Demokratie und (überwiegend) kapitalistische Eigentumsverhältnisse mit sozialistischen Elementen zu verbinden, in dem man z.B. Schlüsselindustrien vergesellschaftet (Überführung Privateigentum in Gemeinschafts- bzw. Staatseigentum).
    Zu praktischen Beispielen „Sozialismus“ und „Demokratie“ fallen mir am ehesten noch die Stichworte: Räterepublik und anarchistische Republik Katalonien/ Spanien 1920 ein.
    https://geschichts-blog.blogspot.com/2011/07/eine-kurze-geschichte-des-sozialismus.html
    Genau deine Frage führte zur Spaltung der Arbeiterbewegung. Die Anwort der SPD auf die Eigentumsfrage war/ ist Kapitalismus mit „sozialen/ sozialistischen“ Elementen.
    (später dann „sozial ist, was Arbeit schafft ;))
    Die Antwort der KPD waren sozialistische Eigentumsverhältnisse, die dann in einem „Einparteiensystem“ umgesetzt wurden.
    In dem Zusammenhang bezweifle ich auch die Aussage von Kretschmer, die DDR Bevölkerung hätte „den Sozialismus“ abgewählt. a) war „der Mehrheit“ gar nicht bewußt, dass es bei der „Wiedervereinigung“ auch um Eigentumsverhältnisse geht b) vielleicht war in dem Ruf nach einer neuen, gesamtdeutschen Verfassung genau dieses Unbewußte verklausuliert und c) waren die kapitalistischen Kräfte auf der „Siegerseite“ viel zu stark und rethorisch geschult, als das irgendjemand in der kürze der Zeit mit einem anderen Konzept hätte überzeugen können.
    Die Geschichte der Wiedervereinigung ist formal die Geschichte einer kollektiven Enteigung (Überführung gesellschaftliches Eigentum in Privateigentum/ ausgeführt durch die „Treuhand“). Krasserweise wurde dazu noch der „Aufbau Ost“ (Infrastruktur etc.) nicht etwa von den neuen Eigentümern steuerfinanziert, sondern über eine neue Gemeinschaftssteuer (Solizuschlag).
    Winwin für „das Kapital“ und auch noch demokratisch 😉

  3. Stefan, dass war für mich die spannenste Folge bisher, danke.
    Stimme in allen politischen Fragen zu. Interessant auch noch mal die statistischen Zahlen…
    Habe am Stück durchgehört und dabei ist mir am stärksten der Unterschied zwischen Radio und Fernsehen aufgefallen. Sowohl auf der Macher, als auch auf der Rezipientenseite.
    Stelle spontan die These auf: Radiomacher und Hörer denken differenzierter. Liegt vielleicht daran, dass sie beim Denken nicht vom Bild gestört werden.
    Oder, frei nach Wolfgang M. Schmitt: Sie schauen nicht nur, sie denken.
    Danke & Grüße aus Thüringen, Kerstin
    p.S.: Vielleicht liegt die Zukunft im hörenden Denken 😉

  4. Hey Stefan, im neuen Talkradio sprichst du den Zeitraum 2023 bis 2045 an. Kannst du nochmal erläutern, warum dieser so wichtig für das Vertändnis der „Rentnerrepublik“ ist?

  5. Im Aufwachen-Podcast sagtest du, Stefan, dass es nicht viel Talk Radio gibt und es eher von Frauen gemacht wird. Rein aus dem Bauch war ich total sicher, dass es nicht stimmt. Ich hab im Podcatcher über 60 Podcasts und da ist wirklich nicht viel Talk Radio dabei. Außer dir ist nur Toby Baier mit Einschlafen-Podcast als Mann dabei. Frauen gibt es bei mir ca. 4x so viele, obwohl einige nicht jede Folge als Monolog gestalten. Einige machen das wie Einmischen!-Jenny und laden ab und zu Gesprächspartner ein.
    Du hast mit deiner Aussage recht, zumindest in Bezug auf meine Podcast-Abos.
    Ziemlich erschreckend für mich, dass meine Einschätzung/Gefühl so extrem von der Wirklichkeit abweicht.

  6. Zu Minute 59:00, dem Tagesthemen-Kommentar:

    die Menschen sind 1989 nicht auf die Straße gegangen um den Sozialismus abzuschaffen. Im Fokus stand die Forderung nach tiefgreifenden Reformen IN der DDR.
    Da (wie vielleicht auch heute) die Politik vor der „real existierenden Wirklichkeit“ die Augen verschlossen und das politische System sich nicht hat weiterentwickeln lassen (demokratische Teilhabe, …)
    ist der „gealterte Realsozialimus“ gescheitert. (Alterdurchschnitt im Zentralkommitee der SED??, ohne es zu wissen üwrde ich schätzen ca 60 Jahre –> DDRR [deutsche demokratische Rentner Republik])

    Wie verbissen heute am gealterten System (wann war das letzte Sicherheitsupdate??) festgehalten wird kann man schon an der Rethorik der Alternativlosigkeit erkennen.
    Das dass politische System in der DDR 1989 nicht geschossen hat und massenweise Menschen verhaftet hat, war Glück.

    Pech war dass die reformerischen Ideen aus der Bürgerbewegung der DDR sangundklanglos untergegangen sind (Runder Tisch, …).
    Der wahre Hohn für die Menschen im Osten ist doch dass ein menschenverachtendes System das andere abgelöst hat, es ihnen aber als Erlösung verkauft wird.

    1. Nachtrag Durchschnittsalter:
      Bundestag: 49,4 Jahre (Quelle: https://www.bento.de/politik/bundestag-2017-so-alt-maennlich-reich-sind-die-neuen-abgeordneten-a-00000000-0003-0001-0000-000001788711)

      Politbüro der SED: 67 Jahre (Quelle: https://www.mdr.de/damals/archiv/artikel90868.html)

      Auch sehr schön und auf der Seite beim mdr gefunden:

      1989 lag das Durchschnittsalter der 21 Politbüromitglieder und 5 Kandidaten bei 67 Jahren.

      Populär war ein Witz, der eine Tagung des Politbüros umschrieb: „Tagesordnungspunkt eins: Hereintragen der Mitglieder. Tagesordnungspunkt zwei: Anschalten der Herzschrittmacher. Tagesordnungspunkt drei: Absingen des Liedes ‚Wir sind die Junge Garde‘.“

  7. WOW, was für eine Podcast-Folge! Danke, spricht es mir wirklich aus dem Herzen.

    notabene: bei den Ausschnitte aus dem BR-Tagesgespräch musste ich laut loslachen, da ich genau diese Sendung im Radio hörte. 🙂

  8. Etwas spät, aber dennoch etwas Kritik meinerseits zu den Audiobotschaften des „gemeinen“ Volkes im BR Kulturradio. Der Habitus der Zuhörer von Bayern 2, stellt sicher nicht den Durchschnitt des gemeinen Volkes da und die Antworten der Anrufer sind somit auch kaum mehr so verwunderlich. Wenngleich es natürlich dennoch eine Freude ist Ihnen hier zu lauschen! Wollte nur den Rahmen etwas anders abstecken. Bin stinknormaler Arbeiter und erlebe ständig leider ganz anderes…

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