Es ist Wahlkampf. In diesem wird naturgemäß politisch kommuniziert. Der Wähler soll erfahren, was im Angebot ist, bevor er – so die soziologisch haltlose Unterstellung – seine inhaltlich geprägte Entscheidung trifft und sich für oder gegen politisches Personal entscheidet. Ist man ein Anhänger der Ideologie des aufgeklärten Wählers, muss man die Lüge naturgemäß skandalisieren. Das politische Publikum soll nicht veralbert werden, weil sonst die falschen Politiker im Parlament landen.
Markus Feldenkirchen, Spiegel- und Apofika-Journalist, ist ein Anhänger dieses Denkens. Entsprechend griff er den aktuellsten Wahlkampf-Stunt von Olaf Scholz in seinem Podcast auf. Der Kanzler sagte im Gespräch mit der F.A.Z.:
Ich habe das Gefühl, ich sage das hier so offen: Im Augenblick wird mit größter Intensität, großer Umsicht das deutsche Volk belogen.
Olaf Scholz
Worauf nun Feldenkirchen im Podcast-Dialog sagte: „Ja, Jasmin, da spitzt sich etwas zu. Die Rhetorik wird schärfer. Ich muss sagen, eben beim Vortragen, ich bin wirklich über Scholz‘ Wortwahl gestolpert.“ Es wäre doch gut, hören wir heraus, wenn Politiker auf der Seite des Anstands blieben und nicht vom Volk redeten, lügen oder andere der Lüge bezichtigen.
Bei solch einem Ereignis am Tage von Trumps zweiter Amtseinführung schließen sich wie von selbst Gedanken an: Man sieht doch, wohin es führt, wenn das Vertrauen in die Politik erodiert, wenn im Wahlkampf nur noch gelogen wird, sich nicht einmal der mächtigste Mann der Welt in der Verantwortung der Wahrheit sieht. Wie auch immer. Es gibt derzeit wahrscheinlich so viele Appelle zur Wahrheit wie Lügen von Trump.
Aber wozu? Was wollen uns die Journalisten eigentlich sagen, wenn sie die Lüge in der Politik moralisch markieren und verurteilen? Wer sich selbst als Teil der Politik sieht, fühlt sich vielleicht mit angegriffen, wenn in der eigenen Arena Lügen und Lügner im Raume stehen. Schließlich lebt der Journalismus von Informationen, und es wäre schön, wenn sie stimmen.
Allerdings ist die Wahrheit im Journalismus nur zweitrangig. In erster Linie geht es in den Nachrichten darum, Neuigkeiten zu erfahren. Erst in zweiter Linie hätte es Wert und Sinn, wenn die Informationen auch wahr wären. Da schnelle Informationen allein durch ihre Lebendigkeit häufig aber nicht so wahr sein können, wie man es gern hätte, dreht man in der Vermittlung ständig nach. Man ergänzt, bietet mehr Kontext, revidiert oder kommentiert – die eigenen Nachrichten, aber insbesondere auch die der anderen. Pluralismus ist der Schlüssel.
Und so, wie die Wahrheit im Journalismus nur zweitrangig ist, hinter dem höchsten Gut der Neuigkeit, ist es auch bei der politischen Kommunikation. Die Information soll die Wähler zwar informieren, aber nur, um sie zu mobilisieren – oder asymmetrisch zu demobilisieren. Merkels berühmte Doktrin war es, den Wahlkampf möglichst langweilig zu gestalten und es am liebsten beim Zeigen wahrhaftigen Regierungshandelns zu belassen, damit die anderen gar nicht mehr vorkommen.
Soweit, so theoretisch. Niemand sollte ein Problem darin sehen, dass sich Journalisten und Politiker zumindest in ihrer Selbstauskunft in erster Linie der Wahrheit verpflichtet sehen. Problematisch wird es aber, wenn daraus pervertierte Selbstaufträge abgeleitet werden.
Wenn der Kanzler sagt, das Volk werde belogen, könnte genau das ja auch stimmen – und eine Neuigkeit sein, und interessant! Über „eine Wortwahl stolpern“ darf jeder, selbst der Sprecher der Worte. Olaf Scholz hätte auch selbst sagen können: „Ich bin beim Betrachten der Nachrichtenlage über einen Gedanken gestolpert: Ich glaube, das Volk wird belogen!“
In den Podcasts könnte man dann sagen: Hört, hört, es gibt eine Neuigkeit zu verkünden: Offenbar gibt es in der politischen Kommunikation Fortschritte!
Einer der wichtigsten Protagonisten, der Kanzler, hat doch gestern lediglich angemerkt, worüber sich die klugen Journalisten schon das Maul zerrissen – das 100-Milliarden-Entlastungsprogramm der CDU geht nicht auf. Wenn das die Journalisten ins Stolpern bringt, ist es doch schön, dass wenigstens Politiker mal die einfachste Wahrheit einfach aussprechen. Das Volk wird belogen.
Schreibe einen Kommentar