Babyboom als Taschenspielertrick

Dienstag, 12. Februar 2019, 15:10 Uhr

„Der Babyboom war nur eine Anomalie“, sagen Bricker und Ibbitson in „Empty Planet“. Die Lebensfreude nach dem Krieg und die gestiegene Lebenserwartung täuschten uns darüber hinweg, dass wir schon seit einem Jahrhundert in einer eurasischen Rentnerrepublik leben. Und wir merken: Wir haben keinen Plan, wie mit schrumpfenden Bevölkerungsgrößen und Volkswirtschaften umzugehen ist. Doch das sei die neue Frage nach Krieg und Frieden. Auf der Suche nach den Gemütszuständen hören wir noch ein bisschen Eva Illouz zu und verfolgen japanische Rentner ins Gefängnis, wo sie endlich jemanden zum Reden finden.

Frank Dürr

Wir hören das Hörbuch „Empty Planet“ von Darrell Bricker und John Ibbitson (Penguin Verlag) und reden kurz über „The Human Tide“ von Paul Morland, das im März bei Hachette erscheint. Eva Illouz‘ Buch „Warum Liebe endet“ erschien im Oktober auf deutsch bei Suhrkamp. Wir lesen ihr Gespräch mit Anja Reich. Für die BBC war Ed Butler im japanischen Gefängnis. (Transkript)

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6 Gedanken zu „Babyboom als Taschenspielertrick“

  1. Passend zu den Empty Planet-Überlegungen gibt es bei der ARD momentan (nur noch bis morgen in der Mediathek!) die Doku „Frauenmangel in Asien“ https://www.ardmediathek.de/ard/player/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTZiZmE5OTEwLWYxYzYtNDBlZi05Y2JmLTgzZjIxNWNlYmE5MA/
    Interessant finde ich vor allem, dass trotz des durch den Mangel steigenden „monetären Wertes“ von Frauen/Mädchen in China und Indien, die meisten Menschen dennoch nach wie vor selbst lieber Jungs haben möchten – die jahrzehntelange kulturelle Abwertung weiblichen Lebens also offenbar stärker wirkt als ökonomische Überlegungen.

  2. Ich finde die These der Populationsfälle sehr interessant und sie widerspricht den gängigen Vorstellungen von Überbevölkerung. Zwei Dinge machen mich jedoch skeptisch:
    (1) Die These besagt ja (wenn ich Stefan richtig verstehe), dass eine sich „tot arbeitende Generation“ nicht mehr in der Lage ist ausreichend Nachwuchs zu zeugen und sich somit selbst in die Falle begibt. Dies stimmt aber nur wenn man die Grundprämisse der klassischen Familienkonstellation gelten lässt. Sollte diese sich verändern, was unter hohem Stress möglich ist, wäre auch eine Versorgung von einem Rentnerplaneten technisch möglich.
    (2) Das Framing der Populations-FALLE erzeugt bei mir den Eindruck, dass diese Entwicklung negativ ist. Aus meiner Sicht muss der evolutionäre Erfolg einer Population/Spezies aber nicht an der Anzahl der Individuen gemessen werden (wie man am Biomassenanteil der Organismen in Massentierhaltung sehen kann).

    Vielen Dank für diesen interessanten Aspekt, den ich mit Interesse beobachten möchte.

    Auf welchem Vertriebsweg des neuen Buchs kommt, den am meisten beim Autor an?

    Viele Grüße

  3. Ich finde auch das die Analyse zu kurz greift, es mag sein das auch schon seit 100 Jahren die 2,1 Kinder nicht erreicht wurden.

    Aber man war lange sehr nah dran, man schrumpfte also langsam.

    https://www.dailymail.co.uk/news/article-5444707/Marriage-rates-straight-couples-fall-time-low.html

    Das ist also nicht nur Ökonomie sondern eben auch Feminismus und mit ihm die Gesetze aber auch die Kultur die Frauen „empowered“ hat und kein Mann jemals gut genug für sie ist, zumal sie durch die Erwerbsarbeit auch immer weniger Männer gab die mehr verdienen als die Frau, da Frauen aber Hypergamous veranlagt sind, sind sie nur an solchen Männern die mindestens gleich viel verdienen in der Regel interessiert.

    Es ist also nicht nur der Reichtum sondern auch die „Gleichberechtigung“ die die Kinderzahlen nach unten korrigieren.

  4. „Empty Planet“ hat was übersehen. Die Geburtenrate sinkt nur unter der Bedingung steigenden Wohlstands. Den sehen wir gegenwärtig zwar noch in vielen Regionen. Wir rasen jedoch auf eine Klimakrise zu bzw. bestimmte Regionen stecken schon voll drin, dazu kommen Ressourcenkrisen, Biodiversifitätskrise, Bodendegradationskrise (jährlicher Verlust ca. die Fläche Südkoreas), Desertifikationskrise (jährlicher Zuwachs ca. die Fläche Irlands), Wasserkrise und diverse regionale Krisen. Dazu erleben wir den allmählichen Zusammenbruch einer (U.S.-) Weltordnung in Kombination mit weiter steigender legaler und illegaler Proliferation von Waffen und weltweit steigt die Sehnsucht danach, von autoritären Neurotikern beherrscht zu werden. Und nicht zuletzt ist das Weltfinanzsystem zur gigantischen Blase aufgedunsen (Welt-BSP: 75 Bill. €, Welt-Schulden: 200 Bill. €, Welt-Finanzderivate: 705 Bill. €), dass nur noch vom Glauben an eine florierende Zukunft lebt, aber buchhalterisch längst insolvent ist.

    Wenn alle von Überbevölkerung reden, dann ruft die Aufmerksamkeitsökonomie halt irgendwann nach einer Gegenstimme. Ich denke, darauf basiert „Empty Planet“, aber nicht auf der Weltlage und deren realistische Perspektiven.

  5. Lieber Stefan,
    Danke für die vielen spannenden Ausflüge in für mich wenig beleuchtete Bereiche!
    Ein, zwei generelle Anmerkungen/Fragen: Gemütszustände haben für mich viel mit Mentalitätsgeschichte zu tun. In Deinem Podcast kommt vergleichsweise wenig Geschichtswissenschaft vor (dafür logischerweise viel Soziologie). Würde sich für Dich Blicke in solche Sachen wie Philipp Ther, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent oder Andreas Wirsching, Der Preis der Freiheit als Ausflüge in die Zeitgeschichte lohnen? Inwiefern spielen die Transformationen (gesellschaftlich, ökonomisch, kulturell) eine Rolle für die Adaption von Problemen? Oder deren Negierung? Das Beispiel Bulgarien war doch einleuchtend. Ein Blick nach Polen wäre möglicherweise auch lehrreich. Dort wird eine Beschleunigung bei gleichzeitiger Beharrung auf nationalem wie religiösem „bewältigt“.
    Was ist eigentlich mit Reckwitz Singularitäten? Hast Du die bewusst verworfen?
    Weiter so!
    D.

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